Sorgfalt vor Eile bei Einführung des World Handicap Systems
Europäische Nationen folgen deutschem Beispiel
Im Januar 2019 gab der Deutsche Golf Verband (DGV) die weltweite Vereinheitlichung des World Handicap Systems (WHS) bekannt. Das Ziel des Royal and Ancient Golf Club of St. Andrews (R&A) und der United States Golf Association (USGA) ist es, die weltweit bestehenden sechs Handicap-Systeme zusammenzuführen.
Kerngedanke der ins Auge gefassten neuen Regularien – so informierte der DGV – ist die „Einführung einer, ähnlich bereits in den USA praktizierten, Durchschnittsberechnung, aus der sich das jeweilige Handicap errechnet. Als Grundprinzip soll gelten, dass sich ein Handicap aus den besten acht der letzten 20 Ergebnisse eines Spielers ergibt. Ein solches ‚Averaging System‘ bringt zum Beispiel den Vorteil, dass auf komplizierte Vorgabenklassen, Herabsetzungsmultiplikanden oder Pufferzonen verzichtet werden kann.“
Bereits zu diesem Zeitpunkt bezweifelte der DGV, dass das von R&A und USGA angegebene Einführungsjahr 2020 für eine praktische Umsetzung in Golf-Deutschland realistisch sei. Malcolm Gourd, zuständig für Golfregularien im DGV damals: „Wichtig wird sein, dass wir unseren Mitgliedern und den Golfspielern früh genug die für sie wichtigen Informationen geben können, damit niemand von dem was da kommt, überrascht wird und uns genügend Zeit bleibt, mögliche Auswirkungen zu testen, um alle Beteiligten mitzunehmen.“ Die komplexe Aufgabenstellung für eine reibungslose Einführung in Deutschland beschrieb Alexander Klose, DGV-Vorstand Recht & Regularien so: „Es geht nicht nur um inhaltliche Fragen. Besonders wichtig sind uns vor allem die Rahmenbedingungen zur Einführung des neuen Systems.“
Im Mai 2019 gab der DGV dann offiziell die Verschiebung der Einführung des World Handicap Systems in Deutschland auf 2021 bekannt. Jetzt folgen immer mehr Nationen dem deutschen Beispiel und starten mit der Einführung des WHS erst im Jahr 2021. Frankreich wird als einziges Nachbarland das WHS definitiv 2020 einführen. Alexander Klose: „Natürlich wird ein weltweites System auch auf regionale Gewohnheiten Rücksicht nehmen müssen. Dies versucht das World-Handicap-System, indem es den Nationen an verschiedenen Stellen bei der inhaltlichen Umsetzung Optionen einräumt, zum Beispiel dazu, ab welchem Handicap-Index ein Spieler, trotz einer schlechten Runde, nicht heraufgesetzt wird.“ Der DGV habe jetzt die Aufgabe, immer dort, wo das System Alternativen zulässt, für Deutschland die passenden Entscheidungen zu treffen.
Dass „Schnellschüsse“ in der Regel nicht sinnvoll sind, zeigt die rege Diskussion seitdem in den Medien und den sozialen Netzwerken. Wir baten Malcolm Gourd, zuständig beim DGV für Regularien und Course Rating, die wichtigsten und am häufigsten an ihn herangetragenen Fragen zusammenzufassen:
? Warum wird das World Handicap System eingeführt?
! In einer globalen Welt ist es nicht zeitgemäß, dass sechs verschiedene Handicap-Systeme parallel angewendet werden. Immer mehr Golfspieler reisen nach Übersee bzw. umgekehrt nach Europa, um ihrem Hobby nachzugehen. Um in beiden Fällen einen gerechten und nach gleichen Maßstäben geführten Wettkampf sicherzustellen, ist ein einheitliches weltweites System notwendig.
Jedes System verfolgt das gleiche Ziel, nämlich vor Ort Vergleichbarkeit und Gerechtigkeit zu bieten. Dennoch unterscheiden sie sich voneinander, was dazu führen kann, dass es zu geringfügig unterschiedlichen Handicaps kommen kann. Das WHS wird nun alle Systeme zu einem Einzigen vereinen, das
- Golfspielern mit unterschiedlicher Spielstärke ermöglicht, auf fairer und gerechter Basis in jedem Format und auf jedem Platz weltweit zu spielen und in Turnieren gegeneinander anzutreten,
- leicht zu verstehen und umzusetzen ist, ohne auf Genauigkeit zu verzichten,
- die unterschiedlichen Bedürfnisse und Erwartungen von Golfern, Golfclubs und Nationalverbänden, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Golfkulturen erfüllt.
? Wann wird das World Handicap System in Deutschland eingeführt?
! In Deutschland wird das WHS ab der Spielsaison 2021 eingeführt. Bis dahin gilt das bisher bekannte EGA-Vorgabensystem vollumfänglich weiter. Weltweit wird das WHS ab der Spielsaison 2020 eingeführt, jedoch wird in Europa kaum ein Land diese neuen Regelungen umsetzen. Für Deutschland wurde entschieden, dass die Saison 2020 noch genutzt werden soll, um die Einführung für alle Beteiligten bestmöglich vorzubereiten und somit 2021 einen reibungslosen Einstieg sicherzustellen.
? Warum führt Deutschland das World Handicap System erst 2021 ein?
! Die Umstellung vom bisherigen EGA-Vorgabensystem zum WHS erfordert eine Vielzahl von vorbereitenden Maßnahmen. Anders als beispielsweise in den USA, wo es seit Jahrzehnten ein Handicapsystem gibt, das dem WHS ähnelt, ist der Schritt in Europa sehr viel gravierender. In Europa wurden Handicaps bisher nicht nach einem Durchschnitts-System ermittelt. Von daher sind die Umstellungsprozesse sehr viel größer als in den USA. Dennoch gibt es auch in Europa ein paar wenige Nationen, die bereits im Jahr 2020 zum WHS umstellen. Dies sind überwiegend die Nationen, die eine sehr geringe Anzahl von Golfclubs und Golfspielern haben, oder deren Handicap-Verwaltung zentral aus dem Nationalverband heraus erfolgt. Beides trifft auf Deutschland nicht zu. Deutschland ist der mitgliederstärkste Verband in Kontinentaleuropa und hat im Moment eine dezentrale Handicapverwaltung. Das bedeutet, dass heute in allen Golfclubs die verschiedenen Handicap-Softwarelösungen angepasst werden müssten und nicht nur in der Zentrale.
Erst vor wenigen Wochen konnten die letzten inhaltlichen Detailfragen geklärt werden. Aus diesem Grund möchte der DGV „Sorgfalt vor Eile“ walten lassen und alle Beteiligten (Golfanlagen, Golfclubs, Golfspieler) umfangreich und detailliert über das neue System sowie die damit verbundenen Änderungen informieren. Das Jahr 2020 wird somit zu kommunikativen Zwecken benötigt, um jedem die Chance gegeben zu haben, am Tage der Einführung des WHS umfänglich informiert zu sein.
? Welche Länder außer Deutschland werden ab 2021 das World Handicap System einführen?
! Neben Deutschland werden die Niederlande, Belgien, Dänemark, Österreich und die Schweiz diesen Schritt auch erst im Jahr 2021 gehen. Auch die Länder des heutigen CONGU-Handicap-Systems (England, Schottland, Wales, Nordirland und Irland), werden erst in 2021 das WHS einführen. Darüber hinaus überlegen noch einige weitere europäische Nationen, doch erst 2021 das WHS einzuführen.
? Was passiert, wenn ein deutscher Golfspieler 2020 in einem Land spielen möchte, das bereits das WHS eingeführt hat?
! Bis alle Länder das WHS eingeführt haben, gibt es statt der bisherigen sechs unterschiedlichen Systeme eben sieben. Bisher konnte ein Spieler mit einer DGV-Vorgabe jederzeit in einem Land Golf spielen, wo das EGA-Handicap-System keine Anwendung fand, beispielsweise in Großbritannien, wo es das CONGU-System gibt. An diesem Grundsatz wird sich nichts ändern.
Die DGV-Vorgabe wird auch in 2020 überall als vollwertiges Handicap akzeptiert. Wenn heute ein deutscher Spieler mit einer DGV-Vorgabe nach England reist, wird diese gemäß der Regelungen in England zur Ermittlung einer Spielvorgabe herangezogen. Gleiches passiert heute schon, wenn ein Spieler in die USA reist. Dann wird seine DGV-Vorgabe gemäß der amerikanischen Regelungen zur Ermittlung einer Spielvorgabe herangezogen. Dies wird so bleiben, egal wo man spielt.
? Was passiert, wenn ein Spieler mit einem World Handicap Index nach Deutschland kommt und hier spielen möchte?
! Schon heute spielen Golfer aus allen Ländern in Deutschland Golf. Sie alle haben ein Handicap. Auch wenn die Berechnung der Handicaps auf Basis anderer System erfolgt, wird das Handicap dieser Gäste schon heute zu einer Spielvorgabe konvertiert und in den Turnierbetrieb integriert. Es macht also keinen Unterschied, ob heute jemand mit einem CONGU-Handicap, einem USGA-Index, mit einem südafrikanischen Handicap oder ob ab 2020 auch Spieler mit einem WHI bei uns spielen möchten.
? Mit welcher Formel kann man seine DGV-Vorgabe in einen World Handicap Index umrechnen?
! Es gibt keine Formel, die aus einer DGV-Vorgabe einen WHI Index machen kann, da die Berechnungsgrundlagen in beiden Systemen völlig unterschiedlich sind. Während in unserem heutigen System die bestehende Vorgabe anhand des letzten Ergebnisses in Zehntelschritten angepasst wird, betrachtet das WHS die Gesamtheit der letzten 20 Ergebnisse und bildet aus den besten acht Ergebnissen einen Mittelwert. Das bedeutet, dass es passieren kann, dass zwei Spieler mit identischer DGV-Vorgabe zukünftig unterschiedliche WHI erhalten, je nachdem, wie sich jeweils die besten acht Ergebnisse aus den letzten 20 darstellen.
? Wie wird mein jetziges Handicap für das WHS konvertiert?
! Nach wie vor ist das Handicap Ausdruck der Spielstärke eines Golfers und soll sein Spielpotenzial so genau wie möglich widerspiegeln. Im WHS heißt dieser Wert zukünftig WHI. Der WHI hat eine andere Berechnungsgrundlage als die heutige DGV-Vorgabe. Somit ist auch zu erwarten, dass im Regelfall der WHI vom Wert her nicht der heutigen DGV-Vorgabe entspricht.
Der WHI errechnet sich, indem der Durchschnitt der besten acht Ergebnisse aus den letzten zwanzig handicap-relevanten (heute: vorgabenwirksamen) Runden gebildet wird. Hat ein Spieler weniger Ergebnisse, wird eine kleinere Anzahl zur Ermittlung des WHI herangezogen. Hat ein Spieler gar keine Ergebnisse in seinem Stammblatt, wird seine bisherige DGV-Vorgabe auch sein zukünftiger WHI sein.
? Wie alt dürfen die Ergebnisse maximal sein, damit sie bei der Konvertierung Berücksichtigung finden?
! Das WHS, anders als das heutige EGA-Vorgabensystem, wird mehr die aktuelle Spielfertigkeit reflektieren als historische Leistungen widerspiegeln. Von daher werden sehr weit zurückliegende Ergebnisse nicht zur Konvertierung herangezogen. Wie lange exakt zurückgeblickt wird, ist im Moment noch Gegenstand von Beratungen zwischen den Nationalverbänden und der World Handicap Authority (zuständig für das WHS). Der DGV teilt die Idee, dass man nicht länger als drei Jahre zurückblicken sollte.
Es werden ohnehin nur dann ältere Daten (bis drei Jahre zurück) herangezogen, sofern es erforderlich wird, um auf 20 Ergebnisse zu kommen. Eine Mehrheit der deutschen Golfspieler wird jedoch aus den zu betrachtenden drei Jahren weit weniger als 20 Ergebnisse vorweisen können. In diesem Falle wird die aktuelle DGV-Vorgabe zu einem Ergebnis umgewandelt (jüngstes Ergebnis), das als eine Art „Anker-Ergebnis“ für die folgenden 20 Runden im Stammblatt erhalten bleibt und bei der Kalkulation des WHI berücksichtigt wird (es wird meist zu den acht besten Ergebnissen gehören).
Autor: Stefan Vogel | golfmanager 4/2019
Lesen Sie zu diesem Thema auch „EINE FRAGE" an Gerd Petermann-Casanova, Clubmanager GC Neuhof