eSports – Chance oder Risiko für den organisierten Sport?
Berührungspunkte erkennen und nutzen
Der wachsende eSport-Markt kann zu einem ernst zu nehmenden Wettbewerber der etablierten Sportarten werden. Einige Sportarten nutzen diese Plattform bereits, um mit einer jungen Zielgruppe zu kommunizieren. Mit den nachfolgenden Facts wollen wir Sie nicht nur informieren, sondern auch zum Nachdenken anregen.
Vom Turnvater Jahn zum Sport 4.0
Der Sport hat sich in den letzten 200 Jahren aufgrund gesellschaftlicher und technologischer Entwicklungen erheblich verändert. Dieser Prozess wird durch die moderne Arbeitswelt und neue Kommunikationstechnologien beschleunigt. Die Zunahme des Fitness- und Gesundheitssports in den Vereinen ist geprägt durch kommerzielle Organisationsformen und individuelle Selbstorganisation. Der Spitzensport dominiert die mediale Unterhaltungsindustrie. Beide Entwicklungen kennzeichnen sich durch innovative Informationstechnologien. „Globale Internetunternehmen werden zukünftig den Sport prägen und dies wiederum kann zu einer Marginalisierung der traditionellen, autonomen Sportsysteme führen“ (SCHULKE HJ, 2017).
Sport – eine Definition
„Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich Sport zu einem umgangssprachlichen, weltweit gebrauchten Begriff entwickelt. Eine präzise oder gar eindeutige begriffliche Abgrenzung lässt sich deshalb nicht vornehmen. Was im allgemeinen unter Sport verstanden wird, ist weniger eine Frage wissenschaftlicher Dimensionsanalysen, sondern wird weit mehr vom alltagstheoretischen Gebrauch sowie von den historisch gewachsenen und tradierten Einbindungen in soziale, ökonomische, politische und rechtliche Gegebenheiten bestimmt. Darüber hinaus verändert, erweitert und differenziert das faktische Geschehen des Sporttreibens selbst das Begriffsverständnis von Sport.“ (RÖTHIG/PROHL Hrsg.: Sportwissenschaftliches Lexikon, 6. Aufl., Schorndorf 2003)
Was ist eSports?
eSports ist die Abkürzung für elektronischen Sport und bezeichnet den Wettkampf von Teams und Einzelspielern bei Computer- und Konsolenspielen. Die Ursprünge gehen auf die ersten Computerspiele in den 50er Jahren zurück, der Begriff „eSports“ entstand in den 90er Jahren. Die Spieler werden umgangssprachlich als „eSportler“ bezeichnet.
Ist eSport ein Sport oder nicht?
IOC-Präsident Thomas Bach hat auf diese Frage noch keine Antwort. Bach sagte kürzlich: „Wir sind uns hinsichtlich der physischen Aktivität nicht zu 100 Prozent im Klaren darüber, ob eSport tatsächlich ein Sport ist.“ Darüber hinaus kritisierte der Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) die fehlende Struktur in der eSport-Szene. Er sagte: „Wir können keine Organisation oder Struktur erkennen, die uns eine Garantie gibt, dass die Werte und Regeln des olympischen Sports auf allen Ebenen zu jederzeit eingehalten und kontrolliert werden.“
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat die Aufnahme des eSport-Verbandes Deutschland (eSVD) abgelehnt. Dieser Verband ist noch sehr jung ist und nimmt derzeit noch keine Mitglieder auf. Der DOSB verweist dabei auf seine Kriterien, nach denen ein Verband in mindestens acht Bundesländern organisiert sein, mehr als 10.000 Mitglieder haben, und aufgrund der „Förderung des gemeinnützigen Zweckes Sport steuerbegünstigt“ sein muss. Weiterhin muss die Sportart die Einhaltung ethischer Werte wie z.B. Fairplay, Chancengleichheit, Unverletzlichkeit der Person und Partnerschaft durch Regeln und/oder ein System von Wettkampf- und Klasseneinteilungen gewährleisten. Dies ist nicht gegeben, insbesondere bei Konkurrenzhandlungen, die ausschließlich auf materiellen Gewinn abzielen oder die eine tatsächliche oder simulierte Körperverletzung bei Einhaltung der gesetzten Regeln beinhalten.
In anderen Ländern (USA, Brasilien, Frankreich und großen Teilen Asiens) ist eSports als Sport anerkannt, bei den Asienspielen 2022 im chinesischen Hangzhou wird es als offizielle Sportart dabei sein. Die Struktur des Sports ist in diesen Ländern allerdings auch ganz anders aufgebaut als in Deutschland. Da es dort keine durchgängig gemeinnützig orientierte soziale Institution gibt, kann eSport auch als Sportart anerkannt werden.
Der Bundesfinanzhof (BFH) definiert den Begriff „Sport“ im Gemeinnützigkeitsrecht „als die planvolle, auf die körperliche Ertüchtigung von Menschen gerichtete Leistung oder Bewegung“ (BFH v. 13.12.1978, BStBl 1979 II, 495).
Das Bundersverwaltungsgericht hat in einem Urteil aus dem Jahre 2005 eSport als Spiel und nicht als Sport eingestuft: „dass Sport auf die Erhaltung der Gesundheit und Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit ziele, während beim Spielen eher Zeitvertreib, Entspannung und Zerstreuung im Vordergrund stünden. Demnach werde ein Spiel [...] jedenfalls auch dann nicht zum Sport, wenn viele Spiele unter Wettbewerbsbedingungen veranstaltet würden.“
Ein offizielles Gutachten, das die Berliner Piratenfraktion beim wissenschaftlichen Parlamentsdienst des Abgeordnetenhauses Berlin zur Frage, ob eSport nun als Sport anzuerkennen ist, im Frühjahr 2017 in Auftrag gegeben hat, kam übrigens zu dem Ergebnis: „eSport ist nicht als Sport im rechtlichen Sinne anzusehen und deshalb rechtlich nicht als Sportart anerkennungsfähig.“ Kritiker sehen sich dadurch bestätigt: eSport ist kein Sport, sondern pure Unterhaltung.
In seinem Urteil vom 09.02.2017 hat der BFH geurteilt, dass ein Spiel, das in Wettkampfform und unter einer besonderen Organisation ausgeübt wird, allein deshalb noch nicht zum Sport wird. „Sport sei vielmehr gekennzeichnet durch eine körperliche, über das ansonsten übliche Maß hinausgehende Aktivität, die durch äußerlich zu beobachtende Anstrengungen oder persönlichen Können zurechenbare Kunstbewegungen gekennzeichnet ist.“ Deshalb falle z.B. Turnierbridge nicht unter Sport, so der BFH, da die körperliche Ertüchtigung das ausschlaggebende Merkmal ist, um etwas als Sport zu definieren (BFH Urteil v. 09.02.2017 Az.VR 69/14).
eSports als globaler Wirtschaftsfaktor
Derzeit zieht der virtuelle Sport rund um den Erdball etwa 385 Millionen Fans an. Bis 2020 soll der weltweite Umsatz um rund 36 Prozent auf 1,15 Milliarden Euro pro Jahr steigen, der Sport soll dann sogar bis zu 600 Millionen Anhänger haben. Bei der inoffiziellen Weltmeisterschaft des Fantasy-Strategiespiels „Dota 2“ wurden 2016 Preisgelder in Höhe von knapp 21 Millionen Dollar ausgeschüttet. Das Siegerteam kassierte bei diesem höchstdotierten Turnier rund 8,3 Millionen Euro (SID). Der Koreaner Lee „Faker“ Sang-hoeyk, die „League of Legends“-Legende, soll im Jahr über 2,5 Millionen US-Dollar verdienen. Diese Summen sind bei klassischen, etablierten Sportarten kaum zu finden. Hinzu kommen noch Umsätze im globalen Wettgeschäft.
eSports als Wirtschaftsfaktor in Deutschland
In Deutschland werden zurzeit rund 50 Millionen Euro Jahresumsatz erwirtschaftet und damit deutlich im globalen Vergleich weniger. Laut den Wirtschaftsprüfern von Deloitte soll der Umsatz in Deutschland bis 2020 auf etwa 130 Millionen Euro steigen. Das in diesem Jahr in Köln stattfindende ESL One Cologne, das größte „Counter-Strike“-Turnier der Welt, ist mit 250.000 Dollar notiert.
Unterschiedliche Disziplinen
Ähnlich wie im Turnen oder der Leichtathletik ist eSports in verschiedene „Disziplinen“ unterteilt. Die verschiedenen Disziplinen werden hier jedoch als „Titel“ dargestellt. Die bekanntesten Titel sind die Echtzeit-Strategiespiele „League of Legends“ (LoL) und „Dota 2“, der Egoshooter „Counter-Strike“ (CS:GO) sowie das Kartenspiel „Heartstone“. Das Fußball Spiel „FIFA“ gewinnt auch wettbewerbsmäßig immer mehr Spieler und Fans – vor allem auch in Deutschland.
TOP-Events
Das höchstdotierte Turnier ist „The International“ in Seattle/Washington (20,8 Millionen Dollar, 2016), die inoffizielle Weltmeisterschaft in „Dota 2“. In Deutschland sind die Turniere des Kölner Unternehmens „ESL“, die „ESL One“ für „Counter-Strike“ (Lanxess Arena in Köln, 07.-09.07.2017) und „Dota 2“ (Barclaycard Arena in Hamburg, 28./29.10.2017) die wichtigsten TOP-Events. Die inoffizielle WM für „FIFA 17“ findet in Berlin statt. Bei der Inszenierung von Events liegen die eSports-Verantwortlichen schon auf einem professionellen, hohen Niveau, das man von den Profiligen im Eishockey oder Basketball kennt, so Michael Heina, eSport-Experte bei Nielsen Sports.
eSports und Sponsoring
Hohe Reichweiten im Internet, professionelle Events mit enormen Preisgeldern und eine Zielgruppen-genaue Ansprache lassen vermuten, dass Entscheidungsträger im Sponsoring dem eSport eine große Bedeutung beimessen werden. Laut der neuesten Nielsen-Studie „Sponsoring Trends 2017“ wird der Fußball nicht mehr als Trend im Sponsoring-Mark angesehen. „Eine Sättigung in diesem höchst populären Sport wird eher erwartet“, so die Studie weiter. Als zukünftig wichtige Sponsoring-Plattformen werden eSports und Gaming von den Entscheidungsträgern genannt.
Die Fußball-Bundesliga und eSports
Schalke 04 und der VfL Wolfsburg haben mehrere FIFA-Spieler unter Vertrag, Schalke in Cihan Yasarlar (25) sogar den aktuellen Europameister. Seit 2016 hat Schalke auch ein „League of Legends“-Team unter Vertrag. Marketing-Vorstand Alexander Jobst von Schalke 04 sieht in dem Engagement zunächst eine Zielgruppenerweiterung, um die junge Generation zu erreichen. Vorrangig geht es ihm aber darum, die Internationalisierung des Vereins zu stärken: „Wir können damit die Marke FC Schalke 04 international entwickeln. eSports ist ein Geschäftsfeld, in dem wir unsere Marke effizient und schnell weiterentwickeln können“ , so Jobst beim diesjährigen SPOBIS Kongress in Düsseldorf. Für Jan Lehmann, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Nielsen Sports, ist eSports durch technische Innovationen, neue Plattformen und ein verändertes Medienkonsumverhalten ein Zuschauersport und damit interessant für Sponsoren. So hat der VfL Wolfsburg durch sein Engagement im e Sports-Bereich bereits zwei neue Sponsoren als Partner gewinnen können.
eSport und Doping
Häufig hört man von Verdachtsmomenten einer möglichen Dopingproblematik im eSport. Schon vor zwei Jahren kündigte der Kölner Veranstalter ESL One eine Anti-Doping-Kampagne an. Passiert ist jedoch bis heute ziemlich wenig, so fehlen das notwendige Regelwerk und unabhängige Kontrollen. Der amerikanische Counter-Strike Profi Kory „Semphis“ Friesen erklärte in einem Interview, dass er und seine Mitspieler des Teams „Cloud9“ bei einem Turnier in Polen gedopt hätten. Sie hatten das verschreibungspflichtige Medikament „Adderall“ eingesetzt, um ihre Konzentration zu steigern und die Reflexe zu verbessern. In diesem Interview erklärte er weiter, dass wohl alle ESL-Spitzenspieler Adderall nehmen würden. Ein unabhängiges und flächendeckendes Doping-Kontrollsystem ist unverzichtbar, die von der ESL durchgeführten eigenen Speicheltests sind völlig ungeeignet und lassen die Gerüchteküche weiter brodeln.
Chance oder Risiko?
Vereine übernehmen eigenverantwortlich Gemeinwohl-fördernde Aufgaben. Heinemann bezeichnet deshalb den organisierten Sport als Bestandteil staatlicher Gesellschaftspolitik. Der organisierte Sport bekennt sich zu einem humanistisch geprägten Menschenbild und vermittelt Werte wie Respekt, Leistungsbereitschaft, Fairplay und demokratische Grundwerte. Das Sportangebot der Vereine dient den Menschen zur bewegungs- und körperorientierten ganzheitlichen Entwicklung der Persönlichkeit und fördert die Gesundheit in physischer, psychischer und sozialer Hinsicht. Insbesondere für Kinder und Jugendliche stellt der Verein – in Ergänzung zu Familie und Schule – ein wesentliches Element zum Erlernen sozialer Kompetenz dar. Gleichzeitig setzen sich Vereine für die umfassende Berücksichtigung von Bewegung, Spiel und Sport im Bildungsbereich ein. Sport hat demnach auch Bildungspotenziale und ist Bildungsgut. Beim eSport ist das Thema Bildung hingegen noch völlig offen. „Sport hat eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz, die er durch eine vorschnelle Umarmung des eSports nicht aufs Spiel setzen sollte“, sagt Professor Bernd Gröben von der Universität Bielefeld.
Darüber hinaus gibt es auch erhebliche vereinsrechtliche Zweifel. Denn ein konstitutives Merkmal eines Sportvereins ist seine Gemeinnützigkeit. Mit der Übernahme von Angeboten aus dem kommerziellen Bereich, so wie dem eSport, droht dem Gemeinwohl-orientierten Sport, die „Gemeinnützigkeits-Unschuld“ zu verlieren.
Es geht vorrangig auch nicht um die Frage, ob eSports eine Sportart ist oder nicht. So beschäftigen sich mehrere Sportwissenschaftler mit dieser Fragestellung. Professor Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln sieht die Kriterien einer klassischen Sportart in Teilen erfüllt: „eSport ist ein Sport, weil er auf Wettbewerb ausgerichtet ist und viele biologische und körperliche Reaktionen zeigt, die man auch im klassischen Sport findet – beispielsweise erhöhte Herzfrequenzen, Stressreaktionen, hormonelle Veränderungen. Außerdem braucht es kognitive Fähigkeiten, ein technisches und taktisches Verständnis und eine schnelle Reaktionsfähigkeit“, wie Froböse in einem dpa-Interview erklärt. Die weitaus interessantere Frage wird jedoch sein, ob es Berührungspunkte zwischen eSport und dem organisierten Sport geben wird. Für Christoph Niessen, dem Vorstandsvorsitzenden des Landessportbundes NRW ist „Gaming eine Freizeitbeschäftigung für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, aber keine Konkurrenz zum traditionellen Sportverein“. Doch gerade der organisierte Sport verliert in diesen Altersgruppen seine Mitglieder, wie z.B. der Deutsche Golf Verband (DGV) in der Altersgruppe der 7-18-jährigen im Zeitraum von 2014-2016 über 3.300 Kinder und Jugendliche. Der Deutsche Fußballbund gewinnt zwar jährlich neue Mitglieder dazu, dies sind zum Großteil die passiven Fanmitglieder der Fußballbundesliga-Vereine, verliert aber in der relevanten Zielgruppe der Junioren A+B-Mannschaften beispielsweise in NRW von 2016 zu 2017 über 60 Mannschaften. Öffnet sich der organisierte Sport Aufgaben, die nicht in seinem traditionellen Sportverständnis liegen, sondern in einem neu gewonnenen Verhältnis zur modernen, digitalisierten Gesellschaft, könnte es eine Chance sein, Mitglieder zu gewinnen oder zu binden. Das Risiko besteht jedoch in der Tatsache, dass diese (jugendlichen) Mitglieder dem aktiven Sport verlorengehen. Also eine Abwägung zwischen (passivem) Mitgliederwachstum oder Verlust von aktiven Sportlern. Der organisierte Sport sollte sich in Zeiten von Globalisierung, Verinselung und Social Media zeitgemäß und modern aufstellen. Der Verein bietet einen wichtigen Raum für Sport und Bewegung, für freiwilliges Engagement und Gemeinsinn – er ist der Kitt für unsere Gesellschaft. Doch kann ein Spiel (Sport) wie Counter Strike, das zum Beispiel simuliert, dass Menschen getötet werden, wirklich dazu beitragen? Das muss zumindest hinterfragt werden.
Autor: Peter Rücker | golfmanager 04/2017