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Digitalisierung der Startzeitenbuchung

Lücke in der digitalen Vermarktung

Golf zählt zu den wenigen Sportarten, bei denen das Sportgelände nicht überall identisch ist und somit ein Anreiz besteht, andere Anlagen abseits des eigenen Heimatclubs zu spielen. Gleich, ob festes Mitglied einer Golfanlage oder eher Greenfeespieler aus dem In- und Ausland: Sowohl im Alltag, als auch im Urlaub nutzen viele Golfer die Gelegenheit, andere Anlagen kennenzulernen. Immer mehr Golfer legen dabei Wert auf Planungssicherheit. Schließlich möchte man nicht zu einer Golfanlage anreisen, um dann vor Ort festzustellen, dass an diesem Tag ein Turnier stattfindet oder bereits eine größere Gruppe an der Ballspirale vor Tee 1 wartet. Viele Golfanlagen nutzen daher auch für Mitglieder die Möglichkeit, durch die Vergabe von Startzeiten Planungssicherheit in der zumindest gefühlt knappen Freizeit zu bieten.

 

Mehr als reine und individuelle Abschlagbuchungen

Nun werden viele Golfanlagen darauf verweisen, dass man Startzeiten entweder telefonisch über das Sekretariat oder über ein entsprechendes Tool auf der eigenen Website buchen könne. Doch genau hier beginnen aus Kundensicht die Herausforderungen: Zum einen sind die elektronischen Buchungsmöglichkeiten selten an der gleichen Stelle auf den Webseiten der Clubs zu finden, zum anderen hängen Funktionen sowie „Look and Feel“ vom jeweils genutzten Clubmanagement-System ab.

Zudem gibt es in Deutschland weiterhin eine sehr große Anzahl von Golfclubs, die bisher auf Startzeiten verzichten. Wer jedoch schon einmal bei Amazon eingekauft hat, weiß, dass die in den meisten Golfanlagen heute üblichen Prozesse zur Startzeitenbuchung vom Komfort eines 1-Click-Kaufs beim weltgrößten Versandhändler weit entfernt sind. In Zeiten der Digitalisierung ist es jedoch unabdingbar, sich an genau solchen Benchmarks zu messen. Der Kunde, hier also der Golfer, möchte nicht nur seine Abschlagzeit buchen, sondern sucht – auf einen Blick – zusätzliche Informationen zum ausgewählten Platz, beispielsweise zu Handicap-Vorgaben, der Mitnahmemöglichkeit von Hunden oder Übungseinrichtungen auf der Golfanlage. Zudem suchen Anwender – und in dieser Rolle befinden sich Golfer bei der digitalen Startzeitenbuchung – ein einheitliches „Look and Feel“ mit einheitlicher Systembedienung – kein Golfer hat wirklich Freude daran, sich in unterschiedliche Startzeitenbuchungssysteme einzuarbeiten. Erfahrungen im Ausland zeigen, dass dies – insbesondere bei Golfanlagen, für die Greenfee-Spieler eine große wirtschaftliche Bedeutung haben – dort längst umgesetzt wurde. Anbieter wie EZ Links (beispielsweise mit teeoff.com) oder der GolfChannel mit GolfNow haben sich international längst als Marktstandards etabliert. Anders in Deutschland: Hier dominierten bisher die individuellen Booking Engines der jeweiligen Clubmanagement-Softwareanbieter.

 

Doch seit 2018 ist Bewegung in den Markt gekommen: Campo Golf, ein Start-up mit Sitz in Mainz, ist angetreten, die Startzeitenbuchung für deutsche Golfanlagen zu digitalisieren, zu standardisieren und zu zentralisieren. „Die Idee dazu entstand in einem Hostel in Kolumbien, wo sich Florian Astor und ich begegneten“, so Co-Gründer und Geschäftsführer Matthias Weber. Dabei sahen die beiden Digitalisierungsspezialisten den Markt vor allem aus Kunden-, also Golferperspektive. „Uns ging es von Beginn an nicht nur um reine Startzeiten, sondern auch um die Vermarktung weiterer Angebote wie beispielsweise Kursen. Zudem wollten wir nicht nur Golfer, sondern auch Golfinteressierte ansprechen – und wo kann sich ein Interessent heute digital informieren, wo und wann der nächste Schnupper- oder Einsteigerkurs in seiner Region stattfindet und diesen direkt buchen?“, beschreibt Weber die Herausforderung. Die aus Sicht einer Golfanlage relevanten Anforderungen an eine zentrale Vermarktungsplattform erarbeiten die beiden Gründer gemeinsam mit Stefan Kirstein vom Mainzer Golfclub. Im Juni 2018 ging es mit zunächst drei Golfanlagen aus der Region Mainz los, nach Abschluss der Tests startete im Oktober der aktive Vertrieb. „Wir haben festgestellt, dass wir bei vielen Clubs erst einmal Aufklärungsarbeit über die Vorteile von Startzeiten und einer zentralen Vermarktungsplattform zu leisten hatten“, fasst Weber die Erfahrungen der ersten Monate zusammen. Zahlreiche Teilnahmen an Golfmessen und Branchenveranstaltungen wie dem DGV-Verbandstag später freuen sich Astor und Weber über 100 Zusagen von Clubs zur Teilnahme, rund 70 davon sind bereits live.

Offenes System für alle Golfinteressierte

„Auf der Endkundenseite ist es uns wichtig, dass neben den Golfern auch Golfinteressierte angesprochen werden. Daher haben Clubs auch die Möglichkeit, Kursangebote beispielsweise für Neugolfer über uns zu verkaufen“, erläutert Weber seine Philosophie. Die technischen Voraussetzungen für eine Teilnahme seitens des Clubs sind recht niedrig, er benötigt letztlich ein Endgerät mit Internet-Zugang. Die gesamte Campo Golf-Anwendung läuft rein Web-basiert, für Endkunden gibt es zudem eine App. Besonders interessant: Auch Clubs, die über ihre Inhouse-Software keine Startzeiten verwalten, können über Campo Golf Startzeiten anbieten und Greenfees verkaufen. Zudem können auch Greenfee-Abkommen zwischen Clubs im System hinterlegt werden, so dass bei Buchung automatisch das ermäßigte Greenfee angewendet wird. Aktuell verfügt Campo Golf über Schnittstellen zu PC Caddie und Club-in-One. „Albatros hat unsere Anfrage leider negativ beschieden, hier setzt man weiter auf die eigene Vermarktungsplattform mygreenfee.com“, erläutert Weber den Hintergrund. Grundsätzlich sei man aber offen, auch weitere Clubsysteme anzuschließen, so der Geschäftsführer. Besonders wichtig für die Clubs: Jede Anlage behält die volle Hoheit über ihre Vermarktung, sie definiert die Greenfee-Preise und die verfügbaren Startzeiten. Zudem können auch Platzbelegungen durch Turniere oder Platzpflegearbeiten im System hinterlegt werden – für Clubs mit Schnittstellen zu den oben genannten Systemen werden die Belegungsdaten zudem live mit den Clubsoftwaresystemen synchronisiert. Auch Clubmitglieder können ihre Startzeiten über Campo Golf buchen, so dass aus Sicht der Golfer alle Buchungen über eine zentrale Plattform erfolgen können – mal als Mitglied im Heimatclub, mal als Gastspieler auf anderen Anlagen. Ein automatisiertes Dynamic Pricing-Tool ist derzeit nicht integriert, die Anlagen haben jedoch die Möglichkeit, ausgewählte Startzeiten mit abweichenden Preisen zu versehen. Für Clubs ohne Startzeitenbuchung gibt es das Konzept der Ballspirale, so dass auch hier Greenfees buchbar sind.

 

Wirtschaftlich differenziert Campo Golf zwischen Mitgliedsbuchungen und Gästebuchungen. „Die Clubs zahlen weder eine Signing Fee noch ein monatliches Basis-Entgelt. Auch Startzeiten-Buchungen von Mitgliedern sind kostenfrei – lediglich für Startzeitenbuchungen von Gästen erheben wir eine umsatzabhängige Provision“, erläutert Weber das Geschäftsmodell. Auch für die buchenden Golfer fallen neben dem vom Club definierten Greenfee keine weiteren Kosten an. „Wir verzichten bewusst auf Buchungsgebühren, wie sie bei anderen Systemen im Ausland üblich sind“, so der Geschäftsführer. Als nächstes plant das Start-up die Bereitstellung von Paketen über die Plattform – die Gestaltung der Pakete und deren Kalkulation bleibt dann wiederum den angeschlossenen Clubs überlassen. Über die Plattform haben Clubs zudem die Möglichkeit festzulegen, zu welchen Konditionen eine Buchung durch die Golfer wieder storniert werden kann. Die in Hotellerie oder bei Airlines gebräuchlichen Unterscheidungen in kostenfrei stornierbare und nicht kostenfrei stornierbare Raten kann somit auch bei Golfanlagen umgesetzt werden. Auch die Bezahlung orientiert sich an den aus der Touristik bekannten Prozessen. Der Golfer richtet bei Campo Golf ein Benutzerkonto ein, das auch Zahlungsmittelinformationen enthält. Bei erfolgreicher Buchung einer Startzeit wird dann über einen externen Zahlungsdienste-Partner (Campo Golf arbeitet hier mit dem Unternehmen Stripe zusammen) die Zahlung veranlasst. Zahlt der Kunde per Kreditkarte, ist das fällige Kreditkarten-Disagio durch die Provision an Campo Golf bereits abgedeckt. Auch die nicht unerheblichen Herausforderungen durch die Umsetzung der neuen Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 für Online-Zahlungen mit Kreditkarten werden über Stripe umgesetzt, so dass auch nach dem 14. September gesetzeskonforme Zahlungsprozesse sichergestellt sind. Um den definierten Abrechnungsprozess zu unterstützen, müssen teilnehmende Golfanlagen ihrerseits bei Stripe ein Konto einrichten, auf das nach Buchung das vom Kunden gezahlte Greenfee abzüglich der Provision gutgeschrieben wird. Der Club legt selbst fest, in welchen zeitlichen Abständen das Guthaben von seinem Stripe-Konto auf ein anderes Konto des Clubs überwiesen wird.

Vision für die ­Vermarktungsplattform

Neben der Standardisierung und Digitalisierung der Buchungsprozesse sieht Campo Golf für die Golfanlagen zahlreiche weitere Vorteile durch den Anschluss an die Vermarktungsplattform. An erster Stelle steht dabei das Ranking bei Suchanfragen, von dem alle teilnehmenden Clubs profitieren. Ein weiterer wichtiger Vorteil ist laut Weber, dass die Clubs die uneingeschränkte Preishoheit behalten – inklusive möglicher Greenfee-Differenzierungen auf der Basis von Club-Abkommen oder anhand weiterer Merkmale.

Zudem können Anlagen ihr gesamtes Portfolio, also auch Kurse sowie Angebote an Noch-Nicht-Golfer, über eine zentrale Plattform in den Markt bringen. Weitere Vorteile seien eine Erweiterung des Kontaktkreises zu potenziellen Greenfeespielern über die Plattform und die kostenfreien Mitgliederbuchungen, so Weber.

 

Für die Zukunft möchte sich das Start-up aus Mainz weiter auf den deutschen Markt konzentrieren. „Wir möchten dazu beitragen, noch mehr Menschen für den Golfsport zu begeistern. Deshalb liegt uns auch die Vermarktung von Angeboten an Interessenten und Einsteiger sehr am Herzen“, so Weber. In den kommenden Monaten möchte man – neben dem Anschluss möglichst vieler weiterer Clubs – den Community-Gedanken unter den Golfern weiter fördern, da Golfer beispielsweise sehen können (sofern die Nutzer dies in ihren Einstellungen hinterlegt haben), wann und wo ihre Golffreunde abschlagen. „Wir sehen uns hier als Ersatz der zahlreichen WhatsApp-Gruppen unter den Golfern, über die heutzutage viele Verabredungen zum Spiel erfolgen“, beschreibt der Geschäftsführer die Hintergründe. Für bestehende Plattformen und touristische Webseiten ist auch eine Einbindung der Buchungsfunktionen per Widget möglich. Die Golf-Onlineplattform Golfpost habe dies bereits umgesetzt, auch Hamburg Tourismus plane eine entsprechende Einbindung, so Weber.

 

An Ideen zur Erweiterung mangelt es dem kreativen Team aus Rheinland-Pfalz nicht. Seien es individuell gebrandete Seiten für den touristischen Vertrieb oder eine Ausweitung der Selektionskritieren für die derzeit als Piktogramme abgebildeten Eigenschaften einer Anlage, für die Zukunft werden zahlreiche Weiterentwicklungen geprüft. Um die Plattform bei Endkunden noch bekannter zu machen, setzen die Digitalisierungsexperten vor allem auf soziale Medien. „Facebook & Co. sind schnell, messbar, kostengünstig und ermöglichen es uns, digital affine Golfer punktgenau zu erreichen“, begründet Weber die Strategie. Man darf gespannt sein, ob nun auch der deutsche Golfmarkt eine solche zentrale Vermarktung unterstützt und damit eine wichtige Lücke in der digitalen Vermarktung geschlossen werden kann.

 

Autor: Michael Althoff | golfmanager 4/2019

 

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