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Dilemmata in Führungsprozessen

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Vielfältige Ursachen für widersprüchliches Verhalten in der Führungsrolle sind aufgrund von Dilemma-Situationen im Führungsgeschehen zu finden. Eine solche Si­tuation ist gegeben, wenn eine sofortige Entscheidung getroffen werden muss bei einer völligen Gleichwertigkeit der vorliegenden Alternativen, wobei diese konkret vorliegen und durch Gegensätzlichkeit gekennzeichnet sind.

 

Sind alle diese Bedingungen gegeben, gestaltet sich eine komplette Dilemma-Auflösung problematisch. Ein solch „perfektes“ Dilemma liegt jedoch vielfach nach näherer Betrachtung nicht vor. Oftmals ist eine der Bedingungen nicht gegeben und bietet hierdurch Ansatzpunkte für Dilemmata-Handhabungen (vgl. LEBRENZ, 2019, S. 42). Vorher wird auf das Dilemma-Umfeld von Leitungskräften eingegangen.

 

Dilemma-Umfeld von Führungskräften

Innerhalb der Führungsrolle muss jede Führungskraft, auch durch die unterschiedlichen Erwartungen ihres sozialen Umfeldes an ihre Funktion, notwendigerweise mit Widersprüchen leben, aus denen sich keine eindeutigen und gesicherten Handlungswege ergeben. Die Führungskraft hat oftmals eine Wahl zu treffen zwischen mindestens zwei vorzufindenden, nahezu gleichwertigen oder/und gegensätzlichen Auswahlmöglichkeiten. Sie muss eine Entscheidung treffen ohne auf einen der beiden Gegenpole gänzlich zu verzichten. Es besteht somit ein spezifischer Handlungsdruck unter Beobachtung und Beachtung des sozia­len Umfelds.

 

Obwohl Dilemmata im Führungsalltag allgegenwärtig sind, werden diese eher tabuisiert als offen kommuniziert. Führungskräfte fühlen sich dementsprechend oftmals allein gelassen (vgl. SPIES/LEBRENZ, 2019). Dilemmata sind in Organisationen systemimmanent. Viele Dilemmata entstehen dabei nicht aufgrund schlechter Führung, sondern sind den organisationalen und personalen Rahmenbedingungen und den vorliegenden Sachzwängen geschuldet. Leitungskräfte befinden sich insbesondere in einem permanenten Rollendilemmata, wenn sie in einem ausgeprägten Wechselspiel zwischen konträren Handlungsalternativen operieren müssen (vgl. LEBRENZ, 2018, S. 7ff.).

 

Führungskräfte unterstützen dabei in ihren Vorgehensweisen und Entscheidungen – vielfach situativ – entweder eher das Primat einer offenen Organisation, z.B. durch Aktionen zur Selbstorganisation oder forcieren Handlungen in Richtung regelkonformen Verhaltens im Unternehmen. Diese beiden Gegenpole im Sinne einer offenen vs. geschlossenen Organisation, bilden dann die Eckdaten ihres Führungshandelns (vgl. u.a. KEMETHER, 2016).

 

Die zunehmende Digitalisierung und die wachsenden Möglichkeiten, eine Vielzahl von Informationen schnell und präzise zu erlangen, erhöht oftmals im Führungsalltag den Drang, schnelle Entscheidungen zu treffen, ohne hinreichende Reflexionen, ob die aktuelle Dilemma-Situation zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt einer Lösung bedarf. Viele Leitungskräfte neigen, insbesondere in Drucksituatio­nen, zwecks Reduzierung der Komplexität zu spontanen Aktionen ohne hinreichende Berücksichtigung der Folgewirkungen ihres Handelns. Entscheidungs-, Zeit- und Kostendruck spielen in diesem Zusammenhang eine prägende Rolle.

 

Die bisherigen Ausführungen zur Dilemma-Thematik betrachteten vorrangig die Einstellungen und Verhaltensweisen in der Führungsrolle. Ein „richtiges“ oder „falsches“ Führungsverhalten, basierend auf den Einstellungen zur Führungsrolle, ist jedoch durch weitere Sachverhalte gekennzeichnet. Zu nennen sind bspw. die Qualifikation der Mitarbeiter, die eigene Qualifikation zur Übernahme einer Führungsposition, die bisherigen Erfahrungen in der Führungsrolle, die vorliegenden Führungssituationen, die zu bewältigenden Führungsaufgaben und die im Unternehmen vorherrschende Führungs- bzw. Unternehmenskultur.

 

Eine bedeutende Position nimmt im Rahmen von Führungsprozessen das Gegensatzpaar Fremdbestimmung vs. Selbstbestimmung ein. Entscheidend sowohl für das Auftreten, als auch für die Handhabung dieses Dilemmas, sind, neben den eigenen Führungskompetenzen, die Kompetenzen der Mitarbeiter und der Führungskraft. Im Wechselspiel dieses Kompetenz-Dreiklangs, konkretisieren sich Ihre Handlungspotenziale im Umgang mit diesem und auch weiteren Dilemmata-Situationen (vgl. KEMETHER, 2016).

 

Umgang mit Dilemmata

Der aktive Umgang mit Dilemma-Situa­tionen hilft i.d.R., die Führungsverantwortung erfolgreicher wahrzunehmen. Reaktionen auf Dilemmata (vgl. u.a. NEUBERGER, 2002, S. 359ff.; BLESSIN/WICK, 2017, S. 459ff.; LEBRENZ, 2018, S 81ff.; SPIES/LEBRENZ, 2019, LEBRENZ, 2019, S. 38ff.) können z.B. sein: Die Dilemmata nicht als ein „entweder – oder“, sondern als ein „sowohl – als auch“ zu betrachten und beide Seiten zu integrieren, z.B. indem je nach Problemstellung und Zeitdruck mal ein eher aufgabenorientiertes bzw. mitarbeiterorientiertes Handeln realisiert wird.

 

Folgende Handlungsalternativen bieten sich bspw. an:

 

  • Durch eine zeitliche Verzögerung der Entscheidungssituation Möglichkeiten zu finden, einmal so und ein anderes Mal anders zu entscheiden, ohne jedoch inkonsequent zu erscheinen.
  • Durch Delegieren der Dilemma-Situation an andere Entscheidungsträger in der Organisation.
  • Durch Delegieren an einen Mitarbeiter, wenn dieser mehr Wissen über den Sachverhalt hat.
  • Durch Delegieren an einen Mitarbeiter, wenn dieser über mehr Zeit verfügt, um nach weiteren Optionen bzw. Entscheidungskriterien zu suchen.
  • Durch Finden von Kompromissprozeduren mit den Akteuren.
  • Durch Akzeptieren des Dilemmas und es als persönlich entwicklungsfördernd positiv zu betrachten.
  • Durch zeitliches Hinausstrecken der Entscheidung über das Dilemma, bis mehr Informationen vorliegen.
  • Durch bewusstes „Aussitzen“ des Dilemmas, falls der Handlungsdruck zu einer Entscheidung nicht zu groß ist.
  • Durch Forcierung eines „Machtwortes“ durch die eigene Führungskraft.
  • Durch kritisches Hinterfragen, ob man Opfer eines „Tunnelblicks“ geworden ist und neben den bisher angenommenen Alternativen noch andere Optionen bestehen.

 

Diese Vorgehensweisen helfen vielfach die individuelle Spannung des ungelösten Dilemmas zu reduzieren, anstatt viel Zeit und Energie für die Auflösung zu investieren.

 

Generell sollte sich die Führungskraft in solchen Situationen immer sorgfältig überlegen, ob der aktuelle Handlungsdruck tatsächlich so hoch ist, wie von ihr angenommen. Ein klärendes Gespräch mit der Führungskraft wäre manchmal eher angebracht, als sofortiger Aktionismus. Ein solches Verhalten fällt insbesondere Leitungskräften schwer, die z.B. mit einer „allzeit bereit“ oder einer „sei perfekt“-Haltung an Führungsdilemmas herangehen.

 

Autor:  Prof. Dr. Richard Streich | golfmanager 2/2023

 

Literatur

BLESSIN, B./WICK, A., 2017: Führen und führen lassen, 8. Auflage.

KEMETHER, K., 2016: Herausforderungen an Führungskräfte aus systemtheoretischer Sicht.

LEBRENZ, C., 2018: Das Dilemma mit den Dilemmas.

LEBRENZ, C., 2019: Die doppeldoofe Entscheidung, in: managerSeminare, Heft 254, S. 38-46.

NEUBERGER, O., 202: Führen und führen lassen, 6. Auflage.

SPIES, R./LEBRENZ, C., 2019: Dilemmata sind systemimmanent, Interview in: Personalmagazin, 10/2019.

 

 

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