Team ist Trumpf
Umbau der LIV Golf League nach Formel-1-Vorbild?
Die LIV Golf League will dem Golfsport ein nie dagewesenes Kapitel der Kommerzialisierung eröffnen. Ein Blick ins Franchise-Konzept des Konkurrenz-Circuits.
Zum Einstieg ein Rückblick: München im November 2022, Bayerns Landeshauptstadt pulsiert im Football-Fieber. Der Goat ist da. Tom Brady, siebenfacher Super-Bowl-Sieger und damit unbestritten The Greatest of All Times seiner Sportart, tritt mit den Tampa Bay Buccaneers in der Allianz Arena gegen die Seattle Seahawks an. Der Hype ist gigantisch. Drei Millionen Tickets hätten verkauft werden können, am Ende sehen 69.811 Zuschauer das erste Spiel der amerikanischen National Football League (NFL) auf deutschem Boden. Dieses Jahr soll sich das Spektakel gleich zweimal wiederholen: erneut in München sowie in Frankfurt. Wieder kommt unter anderem der amtierende Champion, die Kansas City Chiefs um Ausnahme-Spielmacher Patrick Mahomes.
Wundermittel der Wertschöpfung
Und was hat das mit Golf zu tun? Viel. Weil die LIV Golf League, jener von Saudi-Arabien durch den staatliche Investmentfonds PIF vorfinanzierte Konkurrenz-Circuit zur PGA Tour und deren „strategischem Alliierten“ DP World Tour, dem Golfsport ein nie dagewesenes Kapitel der Kommerzialisierung eröffnen will. Das Wundermittel der Wertschöpfung heißt Franchise; der Begriff steht für Lizenz, Konzession. Eine Art übergeordnete Holding ist Besitzer oder Urheber eines Produkts, definiert dessen Vermarktung, sorgt fürs große Ganze und verkauft Nutzungsrechte an Franchisenehmer. An Investoren, Unternehmer, Unternehmen, die damit wiederum das eigene Business aufziehen. Ein gewisses koffeinhaltiges Brausegetränk und eine bekannte Fastfoodkette eroberten so die Welt, alle großen US-Mannschaftssportarten oder die Formel 1 basieren auf dem Geschäftsmodell.
Wobei: Das Stichwort Mannschaft führt direkt zum nächsten Fragezeichen. Golfmannschaften? Kennt man aus dem Amateurbereich und vom Ryder, Presidents und Solheim Cup. Aber selbst für Profis und Proetten geht es bei den Kontinentalwettbewerben zuvorderst um Ehre, Ruhm und Prestige, nicht um Erlöse, Reibach und Prämien. Die LIV-Liga hingegen ist profitorientiert – und dennoch oder gerade deswegen auf Teambuilding fokussiert.
LIV-Liga mindestens noch 2024
Einer für alle, alle für einen“, wie bei den drei Musketieren und ihrem „Emotional Leader“ D’Artagnan: „Dieses Element spornt uns an, besser zu werden“, sagt Phil Mickelson, der einstige Rädelsführer der Rebellion gegen das Establishment. „Es nimmt uns diese isolierte, einsame Erfahrung, die der Golfsport jahrzehntelang gemacht hat.“ Mit der daraus resultierenden Gruppendynamik sollen die Fans fasziniert und für ein favorisiertes Quartett begeistert werden; das Merchandising soll angekurbelt, Investoren, Sponsoren und Medien sollen angelockt, letztlich Einnahmen und Erlöse generiert werden.
Daran soll angeblich auch der Pakt aus heiterem Himmel nichts ändern, mit dessen Verkündung PIF-Direktor Yasir Al-Rumayyan und PGA-Tour-Commissioner Jay Monahan am 06. Juni eine Schockwelle durch die Golfwelt gejagt haben (siehe vorstehender Beitrag). Die LIV Golf League werde mindestens 2024 weiterlaufen, hat Dustin Johnson, der Einzel- und Team-Gesamtgewinner des vergangenen Jahres, unlängst zu Protokoll gegeben. Es werde bereits am Kalender für die kommende Spielzeit gearbeitet. Andererseits soll der Circuit laut dem von Al-Rumayyan und Monahan ausgehandelten Rahmenvertrag in die Zuständigkeit des neuen, noch zu gründenden gemeinsamen Unternehmens mit dem Arbeitstitel NewCo fallen. „NewCo wird das Potenzial und die Perspektiven von LIV auf empirischer und datengestützter Basis bewerten und eine wohlmeinende Einschätzung der Vorteile von Teamgolf im Allgemeinen vornehmen“, heißt es.
Zwei Milliarden Startkapital
Die saudischen Geldgeber, namentlich Kronprinz und De-Facto-Herrscher Mohammed bin Salman sowie der golfbegeisterte Al-Rumayyan als sein wirtschaftlicher Strippenzieher, wollen die Monarchie als Big Player auf der Weltbühne platzieren und ihre geopolitische Bedeutung auch durch den Sport unterstreichen. Das finanzielle Fundament liefert der Public Investment Fund PIF mit einem geschätzten Gesamtvermögen von 620 Milliarden US-Dollar. Als Chef dieses an Dagobert Duck’sche Verhältnisse erinnernden Geldspeichers und Vorsitzender des Erdöl-„Dukatenesels“ Aramco hat Al-Rumayyan dem LIV-Impresario Greg Norman 2022 einen Blankoscheck über zwei Milliarden Dollar zur Anschubfinanzierung der Golf-Ambitionen ausgestellt.
Der Australier mit seinem veritablen Rochus auf die PGA Tour, die einst seine Idee von einer Weltliga abgeschmettert und dann ab 1999 als World Golf Championships selbst umgesetzt hatte, klotzte förmlich mit dem Saudi-Schotter, warb der PGA Tour mit gewaltigen Garantiegagen Stars wie Johnson, Bryson DeChambeau und Cameron Smith oder den amtierenden europäischen Ryder-Cup-Skipper Henrik Stenson ab, blätterte zig Millionen an Miete für Spielstätten hin und spendierte der Beletage seiner Tingeltruppe jede Menge Saus und Braus: eine Boeing 747 als Feten-Jet, Hotelfluchten in Luxusherbergen, Galadinner in Edelrestaurants, Glanz und Gloria für die Gattinnen … Selbst die Caddies, bei der PGA Tour und bei der DP World Tour wahrlich nicht auf Rosen gebettet, fanden sich plötzlich in Business-Class-Sitzen und Einzelzimmern oder an fürstlich gedeckten Tischen wieder. Von der Teilhabe an den pompösen Preisgeldern ganz zu schweigen.
Kapitäne agieren als Prinzipale
In diesem Jahr ist alles anders. Die Saudis haben die Alimentierung drastisch reduziert. Zwar wurde das Gesamtpreisgeld wegen des von acht auf 14 Events erweiterten Spielplans von 255 auf 405 Millionen Dollar erhöht, zudem werden weiterhin gewisse Aufwandspauschalen gewährt. Doch jetzt lautet die Devise: Team ist Trumpf. Die jeweiligen Kapitäne agieren als Prinzipale, führen ihre mittlerweile vielfach als Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Limited Liability Company, LLC) firmierende Mannschaft nicht nur sportlich, sondern gleichermaßen wirtschaftlich. Sie geben in Sachen Budget und Business die Richtung vor, organisieren den Geschäftsbetrieb, machen die Personalplanung, basteln an Vermarktungsstrategien, entwickeln Logoware für die markigen Teamnamen.
Und: Sämtliche Ausgaben sollen aus der Mannschaftskasse bestritten werden. Solange keine anderen Erlöse eingefahren werden, wird die allein durch die Einnahmen aus der bei jedem Event ausgelobten Teamwertung gespeist. Ergo: Im Gegensatz zum vergangenen Jahr partizipieren die Spieler nicht mehr unmittelbar und in „cash“ am Erfolg der Equipe, sie dürfen „bloß“ die individuell erspielte üppige Dotierung behalten. Kurz: Wer gut spielt, lebt gut.
Strukturen durch Fachpersonal
Die 4Aces beispielsweise. Das Team hat 2022 genug Schotter gescheffelt. Kapitän Dustin Johnson brachte es auf insgesamt 35,6 Millionen Dollar und stellte mit seiner Truppe außerdem die beste Mannschaft der Saison, was gut 44 Millionen Dollar in die Kasse spülte. Damit der Chef sich nicht mit lästigem Alltagskram herumschlagen muss, haben sie einen Geschäftsführer und einen Manager für operative Aufgaben. Die Merchandising-Kollektion steht ebenfalls. Deswegen hatte „DJ“ sogar um vorzeitige Auflösung seines Vertrags mit Adidas gebeten.
Andere sind dem strukturellen Beispiel gefolgt, haben ihre Manager befördert oder Fachpersonal engagiert. „Allein schaffst du all die anfallenden Aufgaben nicht“, verdeutlicht Phil Mickelson, der Leitwolf der HyFlyers. „Wir benötigen Unterstützung aus sehr vielen Bereichen. Also musst du über deinen Schatten springen und andere um Hilfe bitten.“ Bei den Iron Heads von Kevin Na wiederum gibt es einen weiblichen Director for Operations: „Von uns wird erwartet, dass wir alles übernehmen, was abseits des Golfplatzes wichtig und notwendig ist, damit die Spieler stressfrei Golf spielen können“, erzählt Kellie Bowers. Spricht’s und kümmert sich um die abendliche Pizza-Party.
Teams fokussieren auf Zielmärkte
Ein interessanter Aspekt sind die Aufstellungen der einzelnen Teams, die nur vordergründig was mit Freundschaften oder Landsmannschaften zu tun haben. Die Kapitäne habe ihre Mitspieler sehr bewusst gewählt, fixieren bestimmte Märkte. Wie die Kansas City Chiefs – siehe oben –, die sich beim Franchisegeber NFL für den deutschen Markt beworben haben und zum „Designated Team“ avanciert sind. Ähnlich wollen sich die LIV-Golfer den Globus aufteilen – langfristig.
Bryson DeChambeau, bei all seiner Spleenigkeit fraglos ein heller Kopf, hat das als Erster erkannt und schon 2022 den Inder Anirban Lahiri in seine Crushers-Crew berufen. „Man holt Spieler nicht nur als sportliche Verstärkung, will ihre Bekanntheit zudem für wirtschaftliche Zwecke nutzen“, dozierte der „Mad Scientist“ damals; er schielt auf den Subkontinent. „Anirban ist in Indien eine echte Größe. Mit ihm werden wir dazu beitragen, dort den Golfsport zu fördern, indem wir Driving-Ranges und vielleicht Plätze bauen.“
Eine Idee voller Imponderabilien
Das Personal-Portfolio lässt sich nach Belieben derart deklinieren: Louis Oosthuizen hat mit seinem rein südafrikanischen Stinger-Quartett die Heimat im Visier. Cameron Smith will mit seiner als Ripper firmierenden Australien-Combo natürlich Down Under aufmischen. Martin Kaymer (Cleeks) und die drei Majesticks-Kapitäne Henrik Stenson, Lee Westwood, Ian Poulter peilen Europa an. Und so weiter.
Die Idee einer Vermarktung von Golf über das Team als Testimonial ist innovativ und daher naturgemäß voller Imponderabilien. Bislang basierte alles auf Patriotismus und liebevoll gepflegter kontinentaler Rivalität. Letztlich muss vor allem der Fan das Konzept annehmen und diese neuartige Inszenierung der eigentlichen Individualsportart Golf goutieren. Schon das Turnierformat über 54 Loch mit Kanonenstart für die lediglich 48 Teilnehmer und ohne Cut wird vielerorts als Muster ohne sportlichen Wert angesehen. Das Australien-Gastspiel in Adelaide mit einer an allen drei Tagen ausverkauften Arena und insgesamt über 60.000 Zuschauern hat allerdings aufgezeigt, dass die Basis sehr wohl begeisterungsfähig ist. In diesem Jahr kriegt der Circuit zudem eine Liga-Struktur mit Auf- und Abstieg, Relegation und Qualifikation, alsbald auch eine Transferphase. Phil Mickelson hat überdies bereits angedeutet, dass ein Switch auf 72 Löcher durchaus vorstellbar sei.
Formel-1-Wertung als Vorbild?
Der originäre Businessplan für die LIV Golf League sieht vor, dass sich der Circuit ab 2025 aus eigener Finanzkraft trägt, weil für jedes Team ein Vermarktungswert gebildet wurde und solvente Investoren sich als Franchisenehmer und Team-„Owner“ engagieren – wobei die generellen Besitzrechte zu 25% bei den Kapitänen und zu 75% bei der Liga bleiben. Die Saudis, denen 93% der Mutterfirma LIV Golf Investments gehört, wollen spätestens dann Kassensturz machen und ihr Projekt auf den Prüfstand stellen. Was daraus wird, bleibt vor dem Hintergrund der neuen Entwicklung abzuwarten. Aber wetten, dass die Tour Greg Norman auch die Team-Idee klauen wird? Prognose: In nicht allzu ferner Zukunft gibt es im Profigolf eine Konstrukteurswertung nach Formel-1-Vorbild.
Autor: Michael F. Basche | golfmanager 3/2023