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Golfbranche zwischen Strategie und Disposition

Deutschland, ein Fall für die Psychiater-Couch?

Umfragen und Publikationen zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung zeigen nicht nur für Deutschland eine große Verunsicherung. Gerade in wirtschaftlicher Hinsicht gewinnt man den Eindruck, als ob Deutschland derzeit von seinen europäischen Nachbarstaaten abgehängt würde – längst macht die Rede von einer bevorstehenden Rezession die Runde, die einstmals starke deutsche Wirtschaft hat ihren Schwung verloren und rangiert im europäischen Vergleich nur noch auf den hinteren Rängen. Dafür liegt Deutschland bei der Inflation im Vorderfeld, was ebenfalls nicht zur Beruhigung der Bürger beiträgt. Gepaart wird diese Entwicklung mit externen Einflüssen wie dem fortdauernden Ukraine-Krieg und Naturkatastrophen weltweit, angefangen bei den verheerenden Waldbränden unter anderem in Griechenland diesen Sommer, aber auch zunehmenden Schäden durch Starkregen. Fast hat man den Eindruck, Deutschland wäre ein Fall für die Psychiater-Couch. Doch ist das eigentlich neu? Ein Blick zurück zeigt: Schon einmal herrschte eine ähnliche Stimmung. Am 26. April 1997 hielt der damalige Bundespräsident Herzog eine inzwischen berühmte Rede in Berlin. Eine seiner Kernaussagen: „Was ist los mit unserem Land? Im Klartext: Der Verlust wirtschaftlicher Dynamik, die Erstarrung der Gesellschaft, eine unglaubliche mentale Depression – das sind die Stichworte der Krise. Sie bilden einen allgegenwärtigen Dreiklang, aber einen Dreiklang in Moll.“ Frank-Walter Steinmeier könnte zumindest diesen Teil der Rede seines Vorgängers unverändert übernehmen. Wichtig aber auch Herzogs damalige, inzwischen legendäre Schlussfolgerung: „Durch Deutschland muss ein Ruck gehen.“ Aktuell zeigt sich jedoch vielfach ein anderes Bild – und das bleibt nicht ohne Folgen für die Freizeitbranche. In der Tat spiegelt sich in der aktuellen Situation der deutschen Golfszene vielfach die gesamtgesellschaftliche Situation wider: Die Euphorie angesichts des überproportionalen Wachstums zu Corona-Zeiten ist längst verflogen, vielerorts hat sich der Mitglieder-Nettozuwachs bei den Mitgliedern deutlich reduziert oder ist sogar negativ. Auch beim bundesweiten „War of Talents“ steht die Golfbranche mittendrin: angefangen vom Ehrenamt über Personal für den Golfbetrieb, die Gastronomie bis hin zum Greenkeeping fehlt nahezu landesweit qualifiziertes Personal, daran konnte auch der „Traumjob Golfplatz“ bislang wenig ändern. Und natürlich kämpfen auch Golfanlagen beim Thema Inflation an beiden Flanken: bei den eigenen, gerade im Energiesektor deutlich gestiegenen Kosten und andererseits bei der sinkenden Kaufkraft der Golfer infolge steigender Lebenshaltungskosten. Einzig die Gruppe der nicht-organisierten Golfer hat sich in den vergangenen Jahren sehr positiv entwickelt – doch mit deren Integration in den deutschen Golfsport tut sich die Branche weiterhin schwer. Interessant auch ein Blick auf die Verbandslandschaft: Nach einigen gemeinsamen Aktionen in den letzten Jahren hat man von außen inzwischen eher wieder den Eindruck, dass hier vielfach Konkurrenz statt Miteinander herrscht. Landesweit scheint die Euphorie der letzten drei Jahre verflogen, doch wie in der Gesellschaft allgemein stellt sich die Frage: Wohin geht die Reise? 

Orientierung und Strategie 

In Literatur und Praxis wird mancherorts darüber gestritten, wie sinnvoll und notwendig Strategien seien. Gerne wird als Beispiel angeführt, dass man aufgrund der in immer kürzeren Abständen auftretenden Veränderungen gar nicht mehr langfristig planen könne. In der Tat: Gerade im Bereich neue Technologien wird der Abstand zwischen Innovationen immer kürzer. Nun soll an dieser Stelle nicht die beliebte Betrachtung erfolgen, wie lange es dauerte, bis Radio, Fernsehen oder Smartphone die 1 Mio.-Nutzer-Grenze durchbrachen. Interessant ist vielmehr, wie selbst im digitalen Zeitalter die Beschleunigung Fahrt aufgenommen hat. Das zeigt ein Blick auf die Verbreitungsgeschwindigkeit heute kaum noch wegzudenkender digitalen Angebote, s. Abbildung 1. 

Dennoch: gerade in Zeiten zahlreicher und bedeutsamer Veränderungen ist es wichtig, Orientierung zu geben. Ob man diese als Strategie, Vision, Mission oder Ziel bezeichnet, ist dabei nachrangig. Die grundsätzliche Herangehensweise hierzu haben die Vereinten Nationen in ihrem Whitepaper „Strategic Planning – Guide for Managers“  gut verständlich dokumentiert. Anders als viele betriebswirtschaftliche Grundlagenwerke beginnen die Vereinten Nationen den Prozess mit den eigenen Werten, also der Frage, wofür ein Unternehmen oder eine Organisation steht und welche Werte es verfolgt – gerade in der heutigen Zeit eine ebenso wichtige wie herausfordernde erste Frage, auch für Golfanlagen. Die Strategie selbst besteht letztlich aus drei Komponenten:
 

  • Der Vision, also dem angestrebten Endzustand bzw. der angestrebten Wahrnehmung im Markt,
  • der Bewertung der Dringlichkeit, mit der dies erreicht werden soll und 
  • der Mission, also dem Selbstverständnis des Unternehmens.

Ausgedrückt wird dies in einem konkreten Ziel. Gablers Wirtschaftslexikon definiert dies als „Sollgröße, mit der ein Istzustand verglichen wird, der so lange zu bearbeiten ist, bis er dem Sollzustand entspricht.“ Daraus folgt, dass ein Ziel in jedem Fall messbar sein muss – „mehr Golfer“ entspricht dieser Vorgabe nicht, solange nicht auch festgelegt wird, wie viele Golfer genau es im Vergleich zu welchem Benchmark sein sollen. Daraus folgt eine weitere Anforderung: Ziele müssen quantifizierbar sein – hier wird es oft schon anspruchsvoller, denn zu manchem Ziel muss man erst einmal geeignete KPIs (Key Performance Indicators), also Maßgrößen, festlegen. Und natürlich, das zeigt auch die Herangehensweise der UN, sollte ein Ziel auch stets die Motivation beinhalten, warum eine Zielerreichung wichtig oder gar überlebenswichtig ist. Vielleicht sagen an dieser Stelle einige Golfverantwortliche: „Wir haben doch eine Vision: Wir wollen mehr Golfer als Mitglieder gewinnen“. Doch genau daran wird deutlich, dass dies alleine nicht ausreicht, um dem Markt die notwendigen Leitplanken zur Verfügung zu stellen. Neben der Quantifizierung des Ziels ist die Frage entscheidend, wie man dies erreichen möchte. Auch ist zu entscheiden, ob als Golfer weiterhin primär ordentliche Mitglieder eines Golfclubs angesehen werden oder auch andere Golfer, beispielsweise Auslandsmitglieder, Mitglieder ohne DGV-Ausweis oder eben nicht-organisierte Golfer. Sicherlich ist es legitim, sich auf die traditionelle Zielgruppe der clubgebundenen Golfer zu konzentrieren – nur sollte man sich bewusst sein, dass man damit nicht nur die nicht-organisierten Golfer unberücksichtigt lässt, sondern auch neue Golfangebote à la Topgolf, Rangesysteme wie InRange, Toptracer und TrackMan, Adventure Golf-Konzepte bis hin zu Popstroke und nicht zuletzt das gesamte Feld von Indoor-Golf mit Simulatoren und das E-Sports-Segment. Diese Fragen sind deshalb so wichtig, weil sie nicht zuletzt den Wirkungsbereich der Verbände betreffen: Betrachtet man die deutsche Golf-Verbandslandschaft, fällt auf, dass es – gemessen an der Anzahl der Betriebe, also Golfanlagen – im Vergleich zu anderen Branchen sehr viele Verbände gibt, andererseits aber bestimmte Marktgruppen bisher auf der Verbandsebene kaum eine Rolle spielen. Dazu gehört beispielsweise eine Wirtschaftsvertretung für nicht betreiber-geführte Golfanlagen oder eine Interessenvertretung der Golfer selbst – denn obwohl letztlich die Golfer die gesamte Verbandslandschaft maßgeblich über ihre Beiträge finanzieren, haben sie selbst keinerlei Einfluss – sie können stets nur über ihr Portemonnaie abstimmen, ob sie ein bestehendes Angebot goutieren oder nicht. Das wurde nicht zuletzt bei der seinerzeitigen Abstimmung über eine mögliche Zusatzumlage zur Finanzierung eines Ryder Cups in Deutschland deutlich, bei der sich die Clubs gegen eine zeitlich begrenzte Beitragserhöhung für die Verbandsabgabe aussprachen – dem Vernehmen nach wurde aber nur in den wenigsten Clubs dazu eine Mitgliederbefragung vorab als Grundlage des Abstimmungsverhaltens durchgeführt.

Die Bedeutung einer Golf-Strategie ergibt sich nicht zuletzt aus den zahlreichen, anstehenden oder bereits wirkenden Veränderungen. Soziologen sprechen hier gerne von „Megatrends“. Grundlage aller Strategieüberlegungen sollte stets eine Umfeldanalyse sein. Das Zukunftsinstitut hat hierzu eine Megatrend-Map erstellt, welche nicht nur relevante Trends aufzeigt, sondern auch deren Verbindungen optisch wiedergibt (www.zukunftsinstitut.de/artikel/die-megatrend-map/). Die Zukunftsforscher identifizieren insgesamt 12 Megatrends:
 

  • New Work
  • Globalisierung
  • Mobilität
  • Konnektivität
  • Gesundheit
  • Neo-Ökologie
  • Gender-Shift
  • Individualisierung
  • Wissenskultur
  • Urbanisierung
  • Society
  • Sicherheit
     

Schon die Auflistung zeigt, dass einige dieser Trends die Golfbranche stärker betreffen als andere – mal im Sinne einer Herausforderung wie beispielsweise die Neo-Ökologie oder New Work, mal als Unterstützung wie bei Gesundheit und Silver Society. Wichtig ist in dieser Phase, dass man die Umfeldanalyse nicht nur auf einer Meta-Ebene, also relativ abstrakt, analysiert, sondern die sich aus den Trends ergebenden Auswirkungen entweder in klaren Aussagen (idealerweise auch hier quantifizierbar) formuliert oder Fragen zur künftigen Strategie daraus ableitet. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es – neben diesen Trends – branchenspezifische Entwicklungen gibt, welche entweder ein Querschnitts­ergebnis aus mehreren Trends sind oder sich aus bisherigen Positionierungen der Golfbranche und geltenden Rahmenbedingungen ergeben.

Angewandt auf die Golfbranche sollten künftige Strategien somit Antworten zu folgenden Fragen bereitstellen:
 

  • Wer ist die Golfer-Zielgruppe der verschiedenen Institutionen: nur organisierte Golfer, nicht-organisierte Golfer, neue Golfangebote inklusive E-Sports?
  • Wie wichtig sind differenzierte ­Interessenvertretungen nach Rechtsform der Golfanlagen?
  • Welche Rolle spielt Golf als (Wettbewerbs-)Sport national wie international, wie ist das Verhältnis zwischen Golf als Sport und Golf als Freizeitbeschäftigung geregelt – sowohl auf Verbandsebene, als auch in den Clubs?
  • Welche Rolle spielt künftig die Gemeinnützigkeit von Golfanlagen? Ist diese noch zeitgemäß oder überwiegen die damit verbundenen Pflichten und Auflagen die möglichen Vorteile?
  • Ist der langfristige Betrieb am geltenden Standort einer Golfanlage sichergestellt oder stehen (eventuell komplexe) Verhandlungen mit dem oder den Pächtern an?
  • In welchem Umfang setzt die Branche auf selbst ausgebildete Mitarbeiter, welche Rolle spielen Quereinsteiger?
  • Welches Leistungsangebot erwarten Golfer auf einer Anlage?
  • Welche Rolle spielen Gastspieler (gleich, ob diese Mitglied eines örtlichen Golfclubs sind oder nicht) für den Ertrag einer Anlage?
  • Konzentriert man sich nur auf den nationalen Golfmarkt oder sollen verstärkt Golfer aus dem Ausland angesprochen werden?
  • Wie sehen künftige Tätigkeitsfelder auf Golfanlagen aus, welche Rolle können hier moderne KI-gestützte Systeme spielen, welche Robotic-Systeme?
  • Wie kann das Image des Golfsports in Sachen Nachhaltigkeit optimiert werden: Wie können Nicht-Golfer erfahren, dass Golf zur Naturerhaltung anstatt zum Landschaftsverbrauch beiträgt?
  • Welche Anforderungen ergeben sich an künftiges Wasser-Management?
  • Wie kann die Golfbranche ihre wirtschaftliche und soziale Bedeutung stärker gegenüber der Politik zum Ausdruck bringen?
  • Sollen die Anlagen weiterhin primär eigenständig wirtschaften oder soll eine Kooperation oder gar Konzentration angestrebt werden?
     

Schon diese Fragen zeigen: Manche Antworten sind eher auf der übergeordneten Ebene für die gesamte deutsche Golfbranche zu suchen, während andere Herausforderungen eher auf lokaler Ebene stattfinden und es somit auch lokal unterschiedliche Herangehensweisen und Strategien geben kann. Allzu oft stellt man, auch in anderen Branchen, fest, dass anstelle einer Strategie einzelne Programme und Maßnahmen auf den Weg gebracht werden, ohne dass diese in ein schlüssiges Gesamtkonzept eingebunden werden – gerade die Politik hat dafür in den letzten Jahren viele Beispiele geliefert und kämpft nun mit den Konsequenzen. Bei der Formulierung einer ganzheitlichen Strategie für die Golfbranche kommt den Verbänden eine Leitfunktion zu, denn ihre Aufgabe ist es, diesen Strategieprozess zu moderieren und die notwendigen Impulse bis in die örtlichen Golfanlagen hinein zu setzen. Wichtig ist hierbei die koordinierende Funktion der Verbände. Denn nur wenn es gelingt, eine gemeinsame Vision für Golf zu entwickeln, kann die Branche ihr Handeln daran ausrichten. Dazu gehören entsprechende, klar messbare Ziele. Diese können sich auf Kunden, das Leistungsangebot, die Prozesse (Stichwort: Digitalisierung), Mitarbeiter oder Finanzen beziehen. Bei den zur Zielerreichung notwendigen Maßnahmen ist hingegen Arbeitsteilung gefragt: Nicht alles kann zentral durch die Verbände geleistet werden, vieles kann nur vor Ort definiert und umgesetzt werden. Verbände können ihren Mitgliedern hier jedoch wertvolle Unterstützung durch entsprechende Beratungsleistungen bieten. Mindestens genauso wichtig ist eine regelmäßige Kontrolle der Zielerreichung – und die offene Kommunikation über das Erreichte mit der Frage, ob bei Nicht-Erreichung die Ziele zu ambitioniert waren oder ob und warum die Maßnahmen nicht gegriffen haben. Auch eine kontinuierliche Risikobewertung ist Teil dieses Prozesses. Denn ein wesentliches Merkmal moderner Strategieprozesse ist, dass die daraus abgeleiteten Visionen nicht statisch fortgeschrieben werden, sondern die für ihre Formulierung geltenden Grundlagen und Trends permanent überprüft werden – und so bei Bedarf auch die Ziele nochmals anzupassen sind, eben ein moderner, rollierender Prozess.

Fazit

Gemeinsames Handeln erfordert gemeinsame Ziele – das gilt unabhängig von einer Branche. Golf als Freizeitaktivität steht in einem zunehmend härter werdenden Wettbewerb um die freie Zeit und verfügbaren finanziellen Ressourcen potenzieller Kunden. Noch präsentiert sich der Golfsport in Deutschland vergleichsweise einheitlich, auch bei den Zielgruppen. Beispiele aus dem Ausland zeigen, dass hier stärker differenziert wird und so die potenziellen Kundengruppen noch weiter gefasst werden können: von (oft hochpreisigen) Privatclubs über reine Pay & Play-Anlagen bis hin zu den städtischen Golfanlagen, den „Munis“, versuchen die Betreiber, das bestmögliche Konzept zur Kundenansprache an ihrem Standort umzusetzen. Dabei spielt es übrigens keine Rolle, ob hinter der Anlage ein Verein oder eine Kapitalgesellschaft steht: Nur wer langfristig Gewinne erwirtschaftet, kann die notwendigen Neu- und Ersatzinvestitionen finanzieren. Die aktuellen Rahmenbedingungen sorgen dafür, dass Golf kein „Selbstläufer“ mehr ist wie zu Corona-Zeiten – umso wichtiger ist es, dass die Verbände untereinander ihre strategischen Aufgaben abstimmen und dann, gemeinsam mit ihren Mitgliedern, eine langfristige Strategie zur Entwicklung des Golfbetriebs in Deutschland formulieren – damit auch durch die deutsche Golfbranche ein „Ruck“ geht!

Autor: Michael Althoff | golfmanager 05/2023