Kommentiert: Braucht Golf-Deutschland eine neue Strategie?
Blickt man in die Medien dieser Welt, scheint es allerorts zu kriseln: Nie war Europa seit dem zweiten Weltkrieg einem Krieg räumlich so nahe wie beim aktuellen Ukraine-Krieg, die Inflation – nicht nur in Deutschland – hat ein in den letzten Jahrzehnten unbekanntes Niveau erreicht und auch in der Wirtschaft scheinen alte Pfründe wie die deutsche Automobilindustrie nicht mehr zu ziehen. Fast hat man den Eindruck, die von Kanzler Scholz zitierte Zeitenwende würde nur Negatives mit sich bringen. Sozialforscher haben jüngst festgestellt, dass sich als Folge dieser Entwicklung immer mehr Menschen in ihr engstes lokales Umfeld zurückziehen – die „heile Welt“ der eigenen vier Wände, nur umgeben von Familie und Freunden, scheint eine Renaissance zu feiern. Auch im Golfsport zeigt sich eine gewisse Stagnation: Nach dem Corona-bedingten, überproportionalen Wachstum kehrt die Branche wieder zu Vor-Pandemie-Entwicklungen zurück. Während im Ausland – sowohl in Europa als auch in Übersee – weiter kräftig in neue Resorts und Communities investiert wird und viele Anlagen einer teils gründlichen Renovierung samt Qualitätsoptimierung unterzogen werden, herrscht in Deutschland eher Stillstand bei der Angebotsentwicklung. Mehr noch: Die Zahlen der DGV-Nachfrageanalyse zeigen, dass sich die Nachfrage teils deutlich anders entwickelt als das Angebot. Denn trotz Wachstum: Die Entwicklung bei den DGV-registrierten Mitgliedschaften hat sich längst nicht so positiv entwickelt wie andere Mitgliedsformen und insbesondere die Gruppe der nicht-organisierten Golfer. Wenn diese sich jedoch mit überwältigender Mehrheit positiv bis sehr positiv zu ihren Spielmöglichkeiten äußern, bedeutet dies eines: Der Markt hat sich endgültig vom Angebotsmarkt zum Nachfragemarkt entwickelt. Damit steht Golf als Sport nicht alleine da, auch in anderen Sportarten macht das Wort von der Vereinsmüdigkeit (inklusive der Schwierigkeit, Menschen für das Ehrenamt zu gewinnen) längst die Runde, nicht-organisierte sportliche Betätigungen wie Radfahren oder Wandern gehören zu den Gewinnern im Freizeitbereich. Das alles ist an sich weder schlimm noch unerwartet, denn Wandel gehört bekanntlich zur menschlichen Geschichte. Und viele Golf-Verantwortliche werden an dieser Stelle einwerfen, dass man doch mit flexiblen Mitgliedschaftsmodellen wie Spielrechten nur an ausgewählten Wochentagen auf die veränderte Nachfrage reagiert habe. Doch Golf ist eben nicht nur – zugegeben, der zumindest aus Sicht der Beteiligten – schönste Sport, sondern zugleich auch einer der kostenintensivsten. Schon bei einer 18-Löcher-Anlage ohne großes Zusatzangebot schnellt der Jahresetat oft auf 1 Mio. Euro hoch – damit ist Golf eben kein reiner Amateursport mehr, sondern erfordert ein betriebswirtschaftliches Management im Stile eines mittelständischen Unternehmens.
Kommt in Deutschland ein Marktbereinigungsprozess?
Das bedeutet letztlich nichts anderes, als dass der Sport nur überleben kann, wenn die Organisationen dahinter – eben die örtlichen Golfanlagen – überleben. Ein Blick auf den größten Golfmarkt der Welt, die USA, zeigt: Hier hatte vor Corona längst ein Marktbereinigungsprozess begonnen – „jeden Tag schließt 1 Golfanlage“ war vor 2019 oft zu hören. Auch in Deutschland gehen Brancheninsider davon aus, dass viele Golfanlagen nur mit großen Anstrengungen ihr wirtschaftliches Überleben sichern konnten und können. Doch spätestens, wenn sich Rahmenbedingungen so stark verändern wie derzeit – auch die neuen Erwartungen der Generation Z sind dabei zu berücksichtigen, sowohl auf dem Arbeitsmarkt, als auch bei der Nachfrage – wird es Zeit, über die eigene Strategie nachzudenken. Das gilt nicht nur für den Golfsport insgesamt – also die Verbände und Berufsorganisationen – sondern auch für die Golfanlagen vor Ort. Blickt man jedoch von Außen auf die Branche, ist zumindest auf den ersten Blick wenig ganzheitliche Strategie zu erkennen. Daher sollte man sich ernsthaft fragen, ob entsprechende Strategien existent sind – und ob die verschiedenen Strategien der diversen Beteiligten zueinander kompatibel sind oder gar in Konkurrenz zueinander stehen. „Wenn Sie an der Vorbereitung scheitern, bereiten Sie sich auf das Scheitern vor“, sagte einst Benjamin Franklin (Original: „By failing to prepare, you are preparing to fail.“). Blickt man auf die Verbände und Interessenvertretungen des deutschen Golfsports, fallen zwei Punkte ins Auge: Es fehlt ein für die gesamte Golfbranche zuständiger Wirtschaftsverband (der DGV sieht sich in erster Linie als Sportverband, der BVGA steht für Betreiber-geführte Anlagen)! Interessanterweise, und im deutlichen Unterschied beispielsweise zu Nachbarland Frankreich, gibt es auch keine Kooperationen, die beispielsweise gemeinsam Einkaufen oder mit einem gemeinsamen Marketing auftreten. Die zweite Erkenntnis: Obwohl es durchaus eine große Anzahl an Interessenvertretungen im Golf gibt, trifft man häufig auf die gleichen handelnden Personen. Viele Führungspositionen der Verbände und Interessenvertretungen werden somit von den gleichen Personen wahrgenommen – einerseits kann man das durchaus als Anerkennung für Engagement und Know-how der betroffenen Personen werten, andererseits sollte man sich die Frage stellen, warum es dann so vieler unterschiedlicher Vereinigungen überhaupt bedarf, wenn doch stets identische Personen agieren. Eine wesentliche strategische Frage lautet daher: Wer spricht für welchen Teil der Golfbranche – und wie viele Interessenvertretungen beziehungsweise Verbände benötigt man tatsächlich?
Sportliches oder Freizeit-Golf?
Genauso wichtig ist die Frage: Welche Strategie möchte man mit dem Angebot verfolgen? Sicherlich gibt es hier zwei Dimensionen: Erstens die Vertreter des sportlichen Golfs mit all seinen Facetten wie dem Golf Team Germany, der Deutschen Golf Liga und letztlich auch dem World Handicap Index und den dazugehörigen, vorgabewirksamen Turnieren und RPRs. Die zweite Dimension dürfte jedoch den größten Teil des Marktes repräsentieren: die Freizeitgolfer. Hier konzentrieren sich nahezu alle Interessentenvertretungen auf die DGV-registrierten Mitgliedschaften – und selbst bei diesen gibt es weiterhin, zumindest in Teilen, eine mindestens Zwei-Klassen-Gesellschaft: die traditionellen Clubmitglieder einerseits und Fernmitglieder bzw. VcG andererseits. Doch wer spricht für die rund 2,5 Mio. weiteren Golfer in Deutschland? Oder, bewusst überspitzt gefragt: Ist Golf-Deutschland an diesen überhaupt interessiert? Wer sich mit Unternehmensstrategien befasst, beginnt üblicherweise in seiner Betrachtung beim Kunden, also der Nachfrage. „Wenn man sich auf die Konkurrenz konzentriert, muss man warten, bis ein Konkurrent etwas tut. Wenn man sich auf den Kunden konzentriert, kann man mehr Pionierarbeit leisten.“, begründet Jeff Bezos, Gründer und längjähriger CEO von Amazon, seinen Erfolg (Original: „If you‘re competitor-focused, you have to wait until there is a competitor doing something. Being customer-focused allows you to be more pioneering.“) Doch wie genau sieht hier die Strategie der deutschen Golfbranche aus? Und noch wichtiger: Welche Erwartungen haben aktuelle und künftige Golfer? Die Überlegungen beginnen bei den Mitgliedschaften – wollen Golfer sich künftig noch in ausreichendem Maß an einzelne Anlagen binden oder wollen sie lieber flexibel bleiben? Auch die Frage, wie viele Golfer überhaupt Wert auf die Führung eines Handicaps legen, ist zu stellen. Und welche Rolle spielt bei den Golfern, die weiterhin einen klassischen Golfclub präferieren, das Thema Exklusivität? Auf Basis dieser Erwartungen kann die Branche ihre Strategie festlegen: Wie viele Golfer möchte man künftig für den Sport gewinnen, welche Mitgliedschafts- oder Spielrechtsmodelle passen zu welchen Golfern, welche Bedeutung haben offene Wettspiele noch, wie soll bei Golfclubs der Zugang von Gastspielern geregelt werden oder will man sich grundsätzlich Pay & Play-Anlage sein? Das alles setzt Zahlen voraus: zunächst in Bezug auf die künftige Nachfrage, dann jedoch auch für jede einzelne Anlage. Dabei ist es wichtig, dass man künftig neben den Mitgliedschaften verstärkt Strategien in Bezug auf Gastspieler mit messbaren Daten unterlegt. So nutzt Deutschland derzeit – mit 28,5 Mio. Gastankünften aus dem Ausland 2022 immerhin weltweit auf Rang 8 der meistbesuchten Destinationen – bisher kaum sein Potenzial als Golf-Incomingdestination. Auch bei der Frage, welche Zielgruppen künftig angestrebt werden, bedarf es einer klaren Planung: Welche Rolle spielen Kinder und Jugendliche, welche Golfer mit körperlichen und/oder geistigen Einschränkungen, wie soll Inklusion im Bereich Menschen mit Migrationshintergrund aussehen – von aktuellen Themen wie LGBTQIA+ ganz zu schweigen. Ganz wichtig: Keine Golfanlage muss oder soll alles machen, aber es braucht klare Strategien, wer überhaupt als Kunde angesehen wird – und konkrete Zahlen, wie groß das zugehörige Marktpotenzial ist und wie hoch der angestrebte Marktanteil.
Strategie im Anlagenbetrieb
Mindestens genauso wichtig sind Strategien im Anlagenbetrieb. Das beginnt mit der Frage, in welchem Umfang mittel- bis langfristig überhaupt qualifizierte und einsatzbereite Ehrenämtler bereitstehen – oder ob man direkt auf ein Betreibermodell wechseln möchte. Auch die Frage der Langfristigkeit einer Golfanlage steht im Raum: Viele Anlagen basieren auf Erbpachtverträgen der 1980er Jahre – was bedeutet, dass die Hälfte der Laufzeit inzwischen nahezu verstrichen ist. Lohnen sich also noch Investitionen und wie können diese bei Bedarf über die aktuelle Erbpacht hinaus geschützt werden? Auch die Frage, ob man als Einzelkämpfer im weiterhin hart umkämpften Markt überleben möchte, ist zu entscheiden – gleich, ob Zusammenschluss oder Kooperation: Gerade in Zeiten von Fachkräftemangel und steigenden Einkaufspreisen können große Einheiten oft bessere Ergebnisse erzielen. Apropos Fachkräfte: Natürlich muss eine künftige Strategie auch klare Aussagen zu den Anforderungsprofilen an Mitarbeiter enthalten – und belastbare Aussagen, wie man diese Mitarbeiter gewinnen und bei Bedarf in eigenen Aus- und Weiterbildungsprogrammen oder in Zusammenarbeit mit anderen Branchen von Gartenbau bis Hotellerie, Gastronomie und Eventbranche qualifizieren möchte. Auch moderne Arbeitszeiten- und Vergütungsmodelle stehen auf der Agenda. Und last, but not least: Welche Führungskräfte benötigen Golfanlagen der Zukunft?
Fazit
Damit kein Missverständnis aufkommt: Golf in Deutschland ist auch jetzt schon aktiv und nicht untätig. Doch gerade bei externer Sicht gewinnt man den Eindruck, dass viele dieser Aktivitäten eher auf Einzelmaßnahmen basieren, aber nicht Teil des großen Ganzen – einer umfassenden Strategie – sind: Hier ein bisschen Biodiversität, dort ein wenig Digitalisierung, dazu Projekte für Golfer mit Behinderung oder ein Portal zur Mitarbeitergewinnung, ergänzt um „No Plastic“-Konzepte und Einzelmaßnahmen im Bereich Bewässerung. Das sind alles wichtige und richtige Maßnahmen – aber zielen diese alle auf die gleiche Strategie? Voraussetzung für eine erfolgreiche Strategie ist meist Marktforschung – nicht nur bei den bereits organisierten Golfern, sondern gerade bei den NOGs und natürlich auch bei Noch-Nicht-Golfern. Auf dieser Basis gilt es, nicht nur eine Strategie zu entwickeln, sondern diese auch in konkreten Zahlen zu quantifizieren. „Was man nicht messen kann, kann man nicht lenken“, sagte einst der bekannte Ökonom Peter F. Drucker. Vielleicht liegt darin ja auch die Ursache: Was man nicht messen kann, wird auch nicht kontrolliert und im Extremfall handelnden Personen zugeschrieben. Dennoch: Das Umfeld des Golfmarkts ändert sich rasant. Damit der Golfsport in Deutschland insgesamt und die einzelnen Anlagen diesen Markt weiterhin erfolgreich bedienen können, wird es Zeit für eine „Nationale Golfmarktstrategie“ – genügend Branchenkenner und fähige Manager hat der deutsche Golfsport. Es fehlt daran, diese zusammenzubringen und eine gemeinsame Strategie zu formulieren.
Autor: Michael Althoff | golfmanager 05/2023