Blindengolf und die besonderen Herausforderungen der Inklusion
Wenn mehr als Gutes Golf erforderlich ist

Wie viele Menschen weltweit verbringt Karin Becker einen großen Teil ihrer Freizeit am liebsten auf dem Golfplatz. Sport hat im Leben der sympathischen Österreicherin stets eine große Rolle gespielt. Wer sie heute auf dem Golfplatz erlebt, entdeckt oft erst auf den zweiten Blick, dass Becker mit einem besonderen Handicap unterwegs ist: Durch einen Gendefekt verlor die damals 20-Jährige vor über 30 Jahren nahezu ihr komplettes Sehvermögen. „Blindheit und Sehbehinderungen sind eine besondere Form der Einschränkung, denn anders als beispielsweise Amputationen oder Lähmungen erkennt man sie sowohl im Alltag als auch im Sport nicht sofort“, so ihre Erfahrung. Auch nach ihrer fast vollständigen Erblindung blieb Becker dem Sport treu, zunächst dem Skifahren, bis heute dem Golfsport. Damit zählt sie zur vielerorts noch weitgehend unbekannten Gruppe der ,Blindengolfer‘. Hier konnte sie große Erfolge erzielen, 2023 wurde sie im südafrikanischen Kapstadt die erste österreichische Weltmeisterin im Blindengolf. Auch abseits des Golfplatzes engagiert sich Becker für ihre Herzensangelegenheit, noch bis August dieses Jahres ist sie Präsidentin der 1998 gegründeten International Blind Golf Association (IBGA). Hier kümmert sie sich besonders um das Mitgliederwachstum – ein Feld mit großem Potenzial, denn während Österreich längst Mitglied der IBGA ist, hat Deutschland bis heute den Status eines assoziierten Mitglieds des Verbands. Hier ist Blindengolf vor allem in die Aktivitäten im Bereich Reha-Sport des Behinderten Golf Clubs Deutschland (BGC) integriert.
Blind Golfen – wie geht das?
Golfer mit weitgehend uneingeschränktem Sehvermögen stellen sich oft die Frage, wie man auch ohne eigene Sehkraft den Sport mit dem doch sehr kleinen weißen Ball ausüben könne. „Blindengolf erfordert in erster Linie ein gutes Körpergefühl und Gehör“, so Becker. Zudem dürfen blinde und sehbehinderte Golfer mit einem Golfguide auf die Runde gehen. Ein Guide, für den keine besondere Ausbildung erforderlich ist, ersetzt die Augen des Golfers: Er oder sie sucht und findet die Bälle nach dem Schlag, darf den Ball droppen oder besserlegen, reicht die Schläger an und hilft zudem bei der Ausrichtung. Becker nutzt zudem einen Alignment-Griff, um den Schlägerkopf richtig an den Ball zu bringen. „Für die Entfernung zur Fahne nutzen wir GPS-Geräte mit Sprachausgabe“, so die engagierte Amateurgolferin. Einzige Ausnahme zu sehenden Golfern: Gemäß Regel 25 der R&A dürfen Golfer mit Sehbehinderung den Schlägerkopf auch im Bunker aufsetzen, bei der Ausrichtung für den Schlag dürfen zudem Hilfsmittel genutzt werden – beim Schlag selbst dürfen diese nicht mehr zur Anwendung kommen. Wie in allen anderen Sportarten wird auch beim Blindengolf nach dem Grad der Sehbehinderung unterschieden, die Einteilung reicht von B1 (blind bzw. Sehschärfe bis maximal 2 %) bis B3 (Sehschärfe zwischen 5 und 10 %). Die Ausrüstung einschließlich Golf ist ansonsten identisch zu Golfern ohne Sehbehinderung. „Golf ist damit eine sehr inklusive Sportart ohne spezielle Anforderungen“, weiß Becker – daher könne Blindengolf auch gemeinsam mit sehenden Golfern ausgeübt werden.
Obwohl Blindengolfer an allen Golfturnieren weltweit teilnehmen können, gibt es unter der Ägide der IBGA eigene Turniere für Blindengolfer, vor allem auf internationaler Ebene. Auch ein dem Ryder Cup ähnliches Turnier wird hier organisiert: der Vision Cup, bei dem Team USA gegen ein ,Rest der Welt‘-Team antritt. Die Teams bestehen hier aus je 12 Männern und 2 Frauen, alle natürlich mit Sehbehinderung. 2024 wurde der Cup erstmals in Österreich ausgetragen, Team ,Rest der Welt‘ siegte nach grandioser Aufholjagd am Schlusstag. Zudem ist Blindengolf auch Teil des Behindertensports insgesamt. „Bei den Turnieren der EDGA, der ,European Disabled Golf Association‘, muss inzwischen mindestens eine Frau und ein sehbehinderter Golfer Teil des Teams sein“, berichtet Becker. Dennoch: Im Vergleich zu anderen Behinderungen sind blinde Golfer noch eine kleine Gruppe unter den Golfern mit Behinderung. „Wahrscheinlich wissen viele Menschen mit Sehbehinderung gar nicht, dass es Blindengolf gibt“, so die Vermutung der erfahrenen Sportlerin. In anderen Ländern, beispielsweise in England oder Wales, sei Blindengolf fest etabliert. Während heutige Blindengolfer meist vor dem Verlust ihres Sehvermögens gegolft haben, berichtet Becker von einer wachsenden Zahl blinder Neugolfer, die den Sport direkt ohne Sehvermögen beginnen, darunter auch zunehmend Kinder und Jugendliche. „Golf ist zum Glück eine Sportart, die man bis ins hohe Alter ausüben kann“, resümiert Becker. Dass Blindengolf im Bereich des Behindertensports noch eher eine kleine Gemeinschaft ist, führt Becker nicht zuletzt auf fehlendes Marketing und öffentliche Wahrnehmung zurück. „Wenn blinde Skifahrer mit Guide die Piste hinunterfahren, ist das natürlich spektakulär! Beim Golf sind die Bilder von Menschen im Rollstuhl oder mit Amputationen einfach wirkungsstärker als die von Menschen mit Sehbehinderung – obwohl das meines Erachtens beim Spiel die größere Beeinträchtigung darstellt“, so Becker. Wie bei vielen Sportarten hängt die Entwicklung daher am persönlichen Engagement der Beteiligten – und so freut sie sich als Sportlerin wie Funktionärin, dass der Kader der Blindengolferinnen in Österreich beständig wächst. Nicht immer träfen Blindengolfer allerdings bei gemeinsamen Runden mit Golfern ohne Behinderung, aber auch mit Golfern anderer Behinderungen, auf Akzeptanz. „Gerade die aktive Unterstützung durch unseren Guide und die Sonderregelungen zu Ausrichtung und Schlägeraufsetzen im Hemmnis sorgen manchmal für Unverständnis“, so ihre Erfahrung. Hier helfe nur kontinuierliche Kommunikation, um das gerade im Golf hervorragend mögliche inklusive Spiel auch in der Praxis umzusetzen. Auch brauche es auf den Anlagen ein spezielles Verständnis für Barrierefreiheit, die oftmals eher auf Rollstuhl-Fahrer ausgerichtet sei. Treppen oder Türen seien für Blindengolfer jedoch selten eine unüberwindbare Schwierigkeit, dafür fehlten oft Beschilderungen in Brailleschrift.
Fazit
Um Blindengolf weiter in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, benötigt der Sport nach Einschätzung von Becker vor allem mehr Budget und professionelle Kommunikation – eventuell gar in Form einer dedizierten Kampagne über eine Marketingagentur. Auf die Verbände setzt Becker hier weniger – zu oft wären den Ankündigungen hier keine Taten gefolgt. Auch die finanzielle Unterstützung auf Verbandsebene sei für Blindengolf derzeit zu gering – mit dem bereitgestellten Budget ließen sich noch nicht einmal die Reisekosten für die im Wettkampfbereich vorgeschriebenen Mindest-Turnierteilnahmen pro Jahr finanzieren.
Zudem sei die Frauenquote im Blindengolf noch sehr niedrig, obwohl gerade Länder wie Österreich, Deutschland und die Niederlande bereits einen sehr hohen Frauenanteil beim Golf insgesamt hätten. Medienpräsenz, mehr Mittel auch durch Sponsoren und nicht zuletzt viel persönliches Engagement sind aus Sicht von Becker die Voraussetzung, damit Blindengolf im Konzert des inklusiven Golfsports mehr Beachtung findet. Wer die umtriebige und begeisterte Sportlerin aus Tirol einmal kennengelernt hat, darf sicher sein, dass sie – auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Ehrenamt der IBGA – alles daran setzen wird, ihren geliebten Sport weiter ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken.
Autor: Michael Althoff | golfmanager 2/25