Wurzelanläufe, Wurzelteller und Würgewurzeln
Meist unsichtbar – Wurzelsysteme von Bäumen
Die genetische Prägung der Pflanzen führt zur Ausbildung eines bestimmten Habitus, sowohl der oberirdischen Teile als auch des Wurzelsystems. Das Aussehen der Krone der Bäume ist im Bauplan festgelegt, das gilt aber auch für das Wurzelsystem, wobei Abweichungen als Zugeständnisse an den jeweiligen Standort und die dort herrschenden Bedingungen zu verstehen sind. Normalerweise korreliert die Ausbildung von unterirdischen und oberirdischen Pflanzenteilen miteinander; sie sind aufeinander abgestimmt.
Eigentlich breitet sich das Wurzelsystem eines Baumes im Erdreich aus, Ausnahmen bildet beispielsweise die Gruppe der Mangrovengehölze, die mit schwankenden Wasserständen an den Küsten der Tropen und zeitweise freistehenden Wurzeln leben.
Doch es gibt auch bei uns Situationen, wo sich Wurzeln an der Oberfläche zeigen. Ist das normal oder sind es bestimmte Bedingungen, die dazu führen? Diese Frage soll hier beleuchtet werden.
Aufgaben der Wurzeln
Wurzeln dienen der Aufnahme von Wasser und Mineralien, die vor allem durch unverkorkte Feinwurzeln und Wurzelspitzen erfolgt. Hingegen wird die Standsicherheit von relativ stammnahen Stark- und Grobwurzeln gewährleistet.
Für ein Wurzelwachstum sind ausreichende Bodenfeuchte und Sauerstoff eine Voraussetzung. Im Gasgemisch des Bodens sollte der Sauerstoffanteil bei über elf Prozent liegen, andernfalls sterben die Wurzeln und in der Folge auch der Baum ab. Voraussetzung für einen guten Gasaustausch sind größere Poren im Boden und zwar in ausreichender Menge.
In Bereichen, in denen durch Verdichtung des Bodens der Gasaustausch gestört ist, erfolgt die Erschließung durch Feinwurzeln geringer, als in gut belüfteten Böden. Die Folge sind Degenerationserscheinungen in der Krone mit Wipfeldürre und Absterben von Kronenteilen.
Altbäume und Nachpflanzungen auf Golfplätzen
Bei älteren Golfanlagen stehen Altbäume mitunter an für das Golfspiel ungünstigen Stellen. Kritisch sind Veränderungen in der bestehenden Bodenstruktur, denn die Wurzeln haben sich in gewissem Maß an die Gegebenheiten angepasst. Deshalb kann beispielsweise die Neuanlage eines Grüns oder Bunkers in der Nähe alter Bäume ein schwerwiegender Eingriff sein, insbesondere bei Bodenaufträgen, die die Sauerstoffversorgung der Wurzeln gravierend stören.
Bei Neupflanzung von Bäumen sollte die Auswahl des Standortes – die Nähe zu den Grüns und die Wahrung der entsprechenden Abstände – gut bedacht werden, auch im Hinblick auf die Kronengröße, die der Baum im Alter erreichen wird. Dazu ist es aber auch wichtig, die Ausbildung des Wurzelsystems der zu pflanzenden Baumart zu berücksichtigen.
Grundtypen des Wurzelsystems
Doch wie sehen die Wurzelsysteme von Bäumen aus, die sich im Wesentlichen im unterirdischen Raum befinden? Hier werden mehrere Grundtypen, wie Herz-, Pfahl- und Senker-Wurzelsysteme unterschieden, wobei jeder Typ nochmal eine spezielle Ausprägung haben kann. Mitunter verändert sich nach der Jugendphase das Wurzelsystem.
Beispiele von Baumarten, die auf Golfplätzen vorkommen:
Fichte (Picea abies (L.) H. Karst.): sehr flaches, tellerförmig angelegtes Wurzelsystem
Robinie (Robinia pseudoacacia L.): in der Jugend Pfahlwurzel, nach 10-15 Jahren kräftige Senkerwurzeln
Amerikanische Rot-Eiche (Quercus rubra L.): flaches, weit ausgebreitetes Wurzelsystem
Winter-Linde (Tila cordata Mill.): wächst zunächst mit einer Pfahlwurzel, später mit kräftigem Herz-wurzelsystem
Rot-Buche (Fagus sylvatica L.): Herzwurzelsystem und weitstreichende Hauptseitenwurzeln
Hainbuche (Carpinus betulus L.): regelmäßiges Herzwurzelsystem mit hohem Feinwurzelanteil
Berg-Ahorn (Acer peusoplatanus L.): Herzsenkerwurzelsytem
Spitz-Ahorn (Acer platanoides L.): flaches Herzwurzelsystem
Feld-Ahorn (Acer campestre L.): Herzwurzelsystem
Birke (Betula pendula Roth): Herz-wurzelsystem mit flachstreichenden Hauptwurzeln
Wald-Kiefer (Pinus sylvestris L.): tiefreichende Pfahlwurzel und in die Tiefe wachsende Seitenwurzeln
Stiel-Eiche (Quercus robur L.): Tiefwurzler, im Alter mit -Herzsenkerwurzelsystem
Wurzelsystem bei Wind oder Sturm
Wie gut ein Baum im Erdreich verankert ist, zeigt sich bei Wind. Dabei spielen mehrere Faktoren eine wichtige Rolle, die Scherfestigkeit des Bodens, der Wurzeltellerradius und der Stammumfang des Baumes. Bei Wind können zunächst einmal Bodenrisse in unterschiedlicher Entfernung vom Stamm auftreten. Ein stammnaher Bodenriss zeigt sich bei einer kleinen Wurzelplatte oder er deutet auf Fäulen im Wurzelbereich hin (Abbildung 1).
Einen Eindruck vom oberen Teil des Wurzelsystems eines Baumes erhält man, wenn Bäume bei Sturm geworfen werden. Fallen sie um, dann schert die Wurzelplatte aus der Erde und die Wurzeln werden sichtbar. Die Amerikanische Rot-Eiche (Quercus rubra L.) hat ein flach ausgebreitetes Wurzelsystem (Abbildung 2), dagegen zeigt das Wurzelsystem der Robinie (Robinia pseudoacacia L.) starke Senkerwurzeln (Abbildung 3).
Die Rot-Buche (Fagus sylvatica L.) hat ein Herzwurzelsystem mit weitstreichenden Hauptseitenwurzeln (Abbildung 4). Beim freigespülten Wurzelsystem einer Wald-Kiefer (Pinus sylvestris L.) sind neben der Pfahlwurzel kräftige in die Tiefe wachsende Seitenwurzeln zu erkennen (Abbildung 5).
Über die Ausprägung der Wurzelsysteme weiß man durch spezielle Untersuchungen mit umfangreichen Grabungen. Einzelheiten zum Tiefgang, zu Verzweigungen, zum Ausmaß der Durchwurzelung des Bodens durch aufwendige Studien von Lore Kutschera sind in mehreren Wurzelatlanten mit zahlreichen Abbildungen der Wurzelsysteme dokumentiert (KUTSCHERA & LICHTENEGGER, 1997 und 2002).
Wurzelanläufe, Wurzelteller
In der Regel befinden sich Wurzeln im Boden und sind deshalb nicht zu sehen. Lediglich die sogenannten Wurzelanläufe – das sind die verdickten Übergänge von Starkwurzeln in den Stamm – treten deutlich hervor (Abbildungen 6 und 7). Doch mitunter wachsen vom Stamm ausgehende Wurzeln eine ganze Strecke auf der Bodenoberfläche, ehe sie in den Boden „abtauchen“. Man fragt sich warum?
Die Erklärung könnte lauten: Der Baum versucht zwar die Funktionen der Wurzeln zu erfüllen, die Wurzeln können jedoch bei widrigen Umständen, beispielsweise bei verdichteten Böden, nicht oder nur schwer in den Boden eindringen. In diesen Fällen breiten sich Starkwurzeln ein Stück weit oberirdisch aus, bevor sie in den Boden wachsen können; sie bilden einen sogenannten Wurzelteller. Das ist gelegentlich sogar im Wald und auch auf Golfplätzen zu beobachten (Abbildungen 8 und 9).
Wenn typische Tiefwurzler wie Eichen, Platanen oder Kiefern wegen undurchdringlicher Bodenschichten oder hoch anstehendem Grundwasser nicht in die Tiefe wachsen können, dann bilden sie an der Oberfläche flache Wurzelteller aus. Mitunter entwickeln sich weit ausgedehnte Wurzelteller sogar auf Golfplätzen (Abbildung 10). Bildet sich ein Wurzelteller innerhalb einer Rasenfläche, dann besteht die Gefahr, dass die Wurzeln durch darüber fahrende Mäher beschädigt und durch eindringende Pilzsporen von holzzerstörenden Pilzen besiedelt werden (Abbildung 11).
Fehler bei der Pflanzung eines Jungbaumes
Bei der Pflanzung eines Jungbaumes gilt es, einiges zu beachten, denn die Folgen einer unsachgemäßen Pflanzung treten erst viel später „zu Tage“. Über die Pflanzung eines Jungbaumes haben wir bereits im Beitrag mit dem Titel „Bäume richtig pflanzen“berichtet. Wenn die Probleme sichtbar werden, ist es für eine Korrektur in aller Regel viel zu spät.
Entscheidend ist bei der Pflanzung unter anderem, dass die richtige Pflanztiefe eingehalten wird; sie sollte der in der Baumschule entsprechen. Meistens ist die Grenze zwischen Stämmchen und Übergang zur Wurzel gut zu erkennen (Abbildung 12). Als Orientierung für die korrekte Pflanztiefe dient die Ballenoberkante, die dem Geländeniveau entsprechen soll. Werden Bäume zu tief gepflanzt, können Wurzeln „ersticken“, weil der Gas-austausch zwischen den Wurzeln und dem Luftraum nicht ausreichend ist.
Probleme entstehen auch, wenn Bäume ohne entsprechende Vorbereitung der Pflanzstelle in verdichtete Böden gepflanzt werden. Damit Bäume eine unbehinderte Wurzelkrone ausbilden können, sind junge Bäume in möglichst große Pflanzgruben zu pflanzen. Immer wieder ist zu sehen, dass große Wurzelballen in zu kleine Pflanzlöcher gesetzt werden. Wenn Wurzeln eines Jungbaumes nicht in den Boden eindringen können, entwickeln sich Wurzeln auf der Bodenoberfläche, der Beginn für die Entwicklung von Würgewurzeln (Abbildung 13).
Würgewurzeln
Das Wachstum von Wurzeln auf der Bodenoberfläche kann sich im Laufe der Entwicklung des Baumes verstärken, insbesondere dann, wenn ein Baum zwischen Kantenstein an der Straße und Pflasterung des Gehwegs bei wahrscheinlich stark verdichtetem Boden wachsen muss (Abbildungen 14 und 15). Sogar bei verdichteten Böden im Wald können sich mächtige Wurzelbereiche zunächst oberirdisch entwickeln (Abbildung 16).
Gelegentlich ist zu sehen, dass ein eng benachbarter Baum mit seinen Wurzeln den Stamm des Nachbarn umwächst und das am Stamm herablaufende Wasser nutzt (Abbildung 17). Diese Wurzel wird Würgewurzel genannt, weil sie bei weiterer Entwicklung das Wachstum des Nachbarbaumes behindern wird. Zuweilen ist zu beobachten, wie sich die Wurzeln zweier dicht benachbarter Bäume offenbar arrangieren (Abbildung 18).
Verdichtete Standorte führen im Laufe der Zeit zur Ausbildung von starken Würgewurzeln (Abbildung 19), hier sind es die eigenen Wurzeln, die sich um den Stammfuß und weitere Wurzeln schlingen. Werden diese Wurzeln dicker, so schnüren sie zunehmend den Saftstrom unter der Rinde ab. Deshalb gelten Würgewurzeln als Defektsymptome. Auch wenn beim Auftreten von Würgewurzeln die Verdichtung der Böden als naheliegend erscheint, steht eine abschließende Beurteilung der Ursache dieser Fehlentwicklung noch aus.
Bäume an extremen Standorten
Bäume können auf flachgründigen Böden in tiefe Spalten einwurzeln und sich dabei hinein gespültes mineralisches und organisches Material erschließen und auch Gesteinsbrocken umwachsen, die dann als Widerlager dienen.
An Hängen dienen Wurzeln der Stabilisierung des Bodens und schützen bis zu einem gewissen Grad vor Hang-rutschungen. Mitunter sind kräftige, den Hang hinauf ausgebreitete Wurzeln (Abbildungen 20 und 21) sichtbar. Werden diese Wurzeln beschädigt, dann ist die Standsicherheit des Baumes gefährdet.
Durch Bodenauftrag erleiden Wurzeln irreparable Schäden, weil die Sauerstoffversorgung gravierend beeinträchtigt wird. So geht beispielsweise eine Buche nach Abdeckung ihres Wurzelbereiches mit einer ein bis zwei Zentimeter dicken Lehmschicht binnen weniger Jahre ein.
Werden jedoch die Bäume durch Wind und/oder Wasser unterhöhlt, dann können die Wurzeln eine solche Situation kompensieren und weiterhin den Baum versorgen (Abbildung 22) oder sogar kräftige Stützwurzeln ausbilden, zuweilen ergeben sich ganz extreme Bilder (Abbildung 23).
Sogar größere Hohlräume können von Wurzeln durchwachsen werden, um an Wasser und Nährstoffe zu gelangen. Durch diese Fähigkeiten können sie an extremen Standorten, beispielsweise an Hängen im Gebirge, überleben.
Was ist auf Golfplätzen zu beachten?
Bei der Pflanzung von Jungbäumen sollten alle Regeln genau beachtet werden, denn Bäume pflanzt man für spätere Generationen. Die Auswahl eines ungünstigen Standortes und Fehler beim Pflanzen lassen sich nicht mehr korrigieren.
Bei Umgestaltungsarbeiten mit Erdarbeiten auf dem Golfplatz sind die Wurzeln von Bäumen – auch wenn sie gar nicht zu sehen sind – gut zu schützen. Überdeckungen des Wurzelsystems, auch nur eine zeitweise Lagerung von Boden unter einem Baum, sind unbedingt zu vermeiden, denn dies bewirkt eine Verdichtung des Bodens und schränkt den Gasaustausch zwischen den Wurzeln und dem Luftraum ein. Die Wurzeln „ersticken“; in der Folge sterben Feinwurzeln ab und Schäden im Kronenbereich werden sichtbar.
Bei allen Arbeiten in der Nähe von Bäumen muss beachtet werden, dass sich Wurzeln bis 1,5 Meter über die Kronentraufe hinaus befinden können, deshalb ist dieser Bereich besonders zu schützen.
Bei einem Wurzelteller dürfen an der Erdoberfläche wachsende Wurzeln keinesfalls beschädigt werden, es besteht die Gefahr, dass Pilzsporen eindringen und sich holzzerstörende Pilze ansiedeln.
Literatur
FGSV 1999: Richtlinien für die Anlage von Straßen, Teil: Landschaftspflege, Abschnitt 4: Schutz von Bäumen, Vegetationsbeständen und Tieren bei Baumaßnahmen. RASP-LP 4.
HAGEMANN, I., 2013: Bäume richtig pflanzen. Greenkeepers Journal, Jahrgang 44. Heft 3/13.
KUTSCHERA, L., M. SOBOTIK und E. LICHTENEGGER, 1997: Bewurzelung von Pflanzen in verschiedenen Lebensräumen. 5. Band der Wurzelatlas-Reihe. Herausgegeben vom OÖ. Landesmuseum, Linz.
KUTSCHERA, L. und E. LICHTENEGGER, 2002: Wurzelatlas mitteleuropäischer Waldbäume und Sträucher. 6. Band der Wurzelatlas-Reihe. Leopold Stocker Verlag, Graz/Stuttgart.
Autorin: Dr. Isolde Hagemann | Greenkeepers Journal 3/2021