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Pflanzen sind sesshaft – oder etwa nicht?

Teil 3: Verbreitung durch Wind – Anemochorie

Im ersten Teil des Beitrags ,Pflanzen sind sesshaft – oder etwa nicht?‘ behandelte unsere Autorin Dr. Isolde Hagemann neben einem allgemeinen Einstieg die Ausbreitungsstrategien bei Gehölzen, insbesondere die ,Selbstverbreitung – Autochorie (Fallvorrichtungen, oftmals mit Speicherverbreitung durch Nagetiere)‘. In der letzten und in dieser Ausgabe soll es um die ,Fremdverbreitung – Allochorie‘ gehen.
 

Bei Laubbäumen, die mit ihrer Krone weit in den Luftraum ragen, ist der Wind ein wichtiges Medium zur Verbreitung ihrer Früchte und Samen. Diese tragen Flügel oder Haare und können dadurch vom Wind sehr weit weg von der Mutterpflanze transportiert werden. Bei den Flugeinrichtungen unterscheiden wir solche mit einem Flügel an der Frucht, einem Samen oder an einem Fruchtstand. Dabei kann die Gestalt der Flügel äußerst vielgestaltig sein. Nach Schraubenfliegern und  Schraubendrehfliegern folgen nun in dieser Ausgabe:
 

  • Segelflieger: Birke, Trompetenbaum
  • Scheibenflieger: Ulme
  • Flügelbildungen am Fruchtstand: Linde
  • Flügel bei Teilfruchtstand: Hainbuche
  • Samen mit Haaren: Pappel
  • Früchte mit Haaren: Platane
     

Segelflieger: Birke, Trompetenbaum
 

Die Weiß-Birke, auch Hänge-Birke (Betula pendula Roth), Familie der Birkengewächse (Betulaceae), bildet bis 25 Meter hohe Bäume mit markanter, weißschwarzer Schuppenborke im Alter (Abbildung 1). Sie wächst auf Schlagflächen, in lichten Laub- und Nadelwäldern, auf Heiden und in Steinbrüchen bis in Höhen von 1.500 Metern auf armen und vernässten Böden.
 

Die männlichen Kätzchen werden im Herbst gebildet, sie hängen herab, die weiblichen Kätzchen entstehen am Ende des diesjährigen Triebes (Abbildung 2). Während der Sommermonate reifen die weiblichen Kätzchen mit den kleinen Früchtchen heran (Abbildung 3). Diese sind nur zwei Millimeter groß, ganz leicht und mit zwei seitlich stehenden durchsichtigen Flügeln ausgestattet (Abbildung 4). Sie werden als Segelflieger bezeichnet, haben eine Flugweite von ca. 1,5 Kilometern, bei Wind fliegen sie noch viel weiter. Mit ihren winzigen Früchtchen siedelt sich die Birke in Mauerritzen, Dachrinnen an und erobert Freiflächen im Gelände. Sie zeichnet sich durch eine sehr erfolgreiche Ausbreitung aus und gilt als Pioniergehölz (Abbildung 5).

Der Gewöhnliche Trompetenbaum (Catalpa bignonioides Walter), Familie der Trompetenbaumgewächse (Bignoniaceae), ist im Südosten der USA und Florida verbreitet, wird als Zierbaum gepflanzt, inzwischen auch in Europa. Er erreicht eine Höhe von 20 bis 25 Metern. In seiner Heimat wächst er an den Ufern von Flüssen und in Auenlandschaften auf nährstoffreichen Böden. In den USA ist dieser Trompetenbaum als Parkbaum, in Gärten häufig zu sehen, inzwischen wird er auch in Europa in Städten wegen seiner Blütenpracht kultiviert.
 

Er bildet breitkronige Bäume (Abbildung 6), trägt große herzförmige Blätter und zeigt bereits Ende Juni eine üppige Blütenpracht (Abbildung 7). Die Blüten sind zweilippig, reinweiß und zeigen auf der Unterlippe purpurfarbene Streifen und gelbe Flecken – Saftmale, die für Insekten anzeigen, wieviel Nektar vorhanden ist (Abbildung 8). Bereits Ende Juni reifen die ersten Früchte – lange schmale Früchte, die etwa 40 Zentimeter lang sind, und aus zwei Hälften bestehen. Es handelt sich hierbei um zweiklappig aufspringende Kapseln (Abbildung 9). Sie bleiben den ganzen Winter über am Baum hängen (Wintersteher) und öffnen sich erst im Frühjahr. Im Inneren bilden sich zahlreiche Samen, die als Segelflieger durch den Wind verbreitet werden. Die Samen sind ganz flach und haben an beiden Enden häutige Flügel, die in einer Vielzahl Fransen enden. Mit dieser Struktur segeln sie durch den Wind und sind perfekt für eine weite Ausbreitung geeignet (Abbildung 10).

Scheibenflieger: Ulme
 

Die Ulmen-Arten (Feld-Ulme (Ulmus minor Mill. em. Richens), Berg-Ulme (Ulmus glabra Huds.), Flatter-Ulme (Ulmus laevis Pallas) können zu hohen Bäumen mit bis zu 30 Metern Höhe heranwachsen (Abbildung 11). Die Ulmenarten kommen in Auen, Schluchtwäldern und schattigen Hangwäldern auf feuchten, nährstoffreichen lockeren Lehmböden bis in mittlere Gebirgslagen vor. Die Blätter sind an der Spreitenbasis asymmetrisch, sie stehen – wie auch die Seitenzweige zweizeilig (Abbildung 12) – die Blüten und Früchte erscheinen vor den Blättern (Abbildung 13). Sie stehen zu mehreren in der Achsel von Knospenschuppen. Die Blüten haben 4 bis 5 Staubblätter und einen zweiblättrigen Fruchtknoten, die Ulmen sind windblütig. Die kleinen Nussfrüchte werden von einem ringförmigen Flügel umgeben und werden als Scheibenflieger bezeichnet. Bei der Berg-Ulme stehen die Früchte eng beieinander (Abbildung 14), bei der Flatter-Ulme sind sie lang gestielt (Abbildung 15).

Flügelbildungen am Fruchtstand: Linde 
 

Linden-Arten (Tilia spec.), Familie der Lindengewächse (Tiliaceae), wie beispielsweise Sommer- (Tilia platyphyllos Scop.), Winter- (T. cordata Mill.) und Silber-Linde (T. tomentosa Moench) wachsen in unseren Städten als Straßen- und Parkbäume, sie sind aber auch häufig auf Golfplätzen anzutreffen. Sie erreichen eine Höhe von 25 bis 30 Metern (Abbildung 16). Aus ihren Lindenblütenständen (Abbildung 17) entwickeln sich nach der Befruchtung die charakteristischen, geflügelten Fruchtstände mit kleinen herabhängenden Nüsschen (Abbildung 18). Der Stiel des Fruchtstandes ist zur Hälfte mit dem zungenförmigen Vorblatt verwachsen. Die markanten Fruchtstände bleiben oftmals den ganzen Winter über an den Zweigen; sie werden als Wintersteher bezeichnet. Löst sich der trockene Fruchtstand ab, dann ergeben sich mit den kleinen Nussfrüchten als Schwerpunkt im Wind drehende Bewegungen. Durch das geringe Gewicht kann der Fruchtstand mit Hilfe des Windes gut fliegen und weit vom Baum entfernt landen. Je höher die Linden sind und je stärker der Wind weht, umso größer ist der Distanzgewinn. Der Flügel verringert dabei die Sinkgeschwindigkeit. Die Lindenfruchtstände hängen oftmals den ganzen Winter am Baum, sie gelten als Wintersteher (Abbildung 19). Die Linden keimen meistens in großer Zahl und bilden ganz markante Keimlinge mit geteilten Keimblättern (Abbildung 20).

Flügel bei Teilfruchtstand: Hainbuche
 

Hainbuche (Carpinus betulus L.), Familie Birkengewächse (Betulaceae). Die Hainbuche kommt im subozeanischen Europa vor und wächst in Tieflagen auf mäßig nährstoffreichen Sand- und Lehmböden in Eichen-Hainbuchenwäldern. Sie wird breitkronig, erreicht eine Höhe von bis zu 20 Metern und kann 150 Jahre alt werden (Abbildung 21). Die Blüten stehen in Kätzchenblütenständen; die männlichen entwickeln sich erst im Frühjahr (Abbildung 22). Die weiblichen Früchte stehen einzeln an einer herabhängenden Achse (Abbildung 23) und haben eine dreilappige Hülle, die zunächst der Photosynthese dient. Später, bis zum Oktober wird sie trocken (Abbildung 24) und fungiert als Flugorgan für die reifen Nüsse. Es sind typische Drehflieger mit einer Reichweite mit bis zu 70 Metern. Zusätzlich erfolgt eine Verbreitung durch Nagetiere und Lagerung der Früchte in Verstecken im Boden.

Samen mit Haaren: Pappel
 

Schwarz- (Populus nigra L.), Pyramiden- (Populus nigra L. var. italica L.), Kanada-Pappel (Populus x canadensis Moench) und weitere Arten. Die Pappeln gehören in die Familie der Weidengewächse (Salicaceae).
 

Die Schwarz-Pappel ist ein schnellwüchsiger Baum, der über 30 Meter hoch und etwa 100 Jahre alt werden kann (Abbildung 25). Sie wächst in Auwäldern und an Altwässern auf feuchten, tiefgründigen Böden.
 

Die Pappeln sind zweihäusig, das bedeutet männliche und weibliche Blüten sind auf zwei verschiedenen Bäumen; sie stehen in kätzchenförmigen Blütenständen, die denen der Weiden ähnlich sind (Abbildung 26). Die männlichen Kätzchen liefern den Pollen, aus den weiblichen Blüten entwickeln sich zweiklappige Kapseln (Abbildung 27), die bei Reife aufspringen und zahlreiche Samen entlassen. Diese haben am Grunde einen Haarschopf und fliegen als Schirmchenflieger im Winde durch die Luft; sie haben Reichweiten von bis zu 15 Kilometern. Unter Pappeln sind häufig bereits im Juni diese Samen in großer Zahl zu finden, sie werden als Pappelwolle bezeichnet (Abbildung 28).
 

Die Schwarz-Pappel bildet große Bäume mit einer großen rundlichen Krone und schöner Herbstfärbung (Abbildung 29). Diese Art ist als Wildart gefährdet, wird an Wiesenwegen angepflanzt, oftmals handelt es sich aber um die Kanada-Pappel oder um die Pyramiden-Pappel (Abbildung 30), die mit ihrem typischen Habitus das Landschaftsbild bereichert. 

Früchte mit Haaren: Platane
 

Gewöhnliche Platane (Platanus x hispanica Münchh.) ist ein Bastard zwischen P. occidentalis L. und P. orientalis L., der sich spontan im Botanischen Garten Oxford entwickelte. Die Gewöhnliche Platane bildet große breitkronige Bäume (Abbildungen 31 und 32), die bei uns Höhen von 30 Metern erreichen, einzelne Populationen weisen auch bis 50 Meter Höhe auf (Abbildung 33). Sie werden als Straßen- und Alleebaum angepflanzt und wachsen auf tiefgründigen, frischen Böden besonders gut. Für Parkplätze ist sie weniger gut geeignet, weil sie mit ihren flachstreichenden Wurzeln Pflaster und Asphaltdecken anheben kann.
 

Die Platane zeigt ein charakteristisches Borkenmuster, eine sogenannte Schuppenborke, bei der die oberste Borkenschicht in großen Platten regelmäßig abgesprengt wird (Abbildung 34). Die Blätter ähneln denen des Spitz-Ahorns. Die Platane ist einhäusig, männliche und weibliche kugelige Blütenstände hängen an einem Baum (Abbildung 35). Eine Blütenhülle fehlt. Aus den freien Fruchtblättern entwickeln sich einsamige Nüsschen mit einem Griffelrest, an der Basis stehen Haare (Abbildung 36). Die kugeligen Fruchtstände bleiben den Winter über am Baum hängen (Wintersteher), danach zerfallen sie in einzelne Früchte. An ihrer Basis befinden sich Haarbüschel, sie werden als Schirmchenflieger vom Wind verbreitet, allerdings ist die Flugweite sehr gering, die Früchte fliegen als Haarflieger. Das derbe, braune Platanenlaub bleibt lange, beinahe den ganzen Winter über, am Baum hängen (Abbildung 37).

Fazit
 

Unsere einheimischen, aber auch aus anderen Regionen stammende, Baumarten zeigen interessante Strategien, um den Nachteil, nur an einem Ort zu stehen, zu kompensieren.


Bäume, die weit in den Luftraum ragen, zeigen verschiedenartige Strukturen, um sich mit ihren Samen und Früchten auszubreiten.


Bei der Selbstverbreitung fallen die oft schweren Früchte zu Boden und bleiben liegen, oftmals kommen ihnen Kleinsäuger ,zu Hilfe‘ und deponieren die Früchte/Samen in Verstecken, wo sie diese gelegentlich vergessen. Dies gilt als gute Form der Ausbreitung.


Wesentlich effektiver sind jedoch Anhänge an Früchten und Samen, die die Sinkgeschwindigkeit verringern. Die Strukturen – Flügel und Haarbildungen – sind außerordentlich vielfältig bei den verschiedenen Pflanzengruppen. Insbesondere der Wind ist als sehr effektives Medium anzusehen, welches kleinste Samen mit zarten Flügeln, beispielsweise bei den Nacktsamern, wie bei Kiefer und Fichte für große Reichweiten sorgt. Unterschiedlich gestaltete Flügel stehen an einzelnen Früchten, Teilfruchtständen und ganzen Fruchtständen. Aber auch Haarbildungen sind in ihrer Vielfalt nicht zu unterschätzen.


Nur durch diese verschiedenen Strukturen konnten einige Baumarten große Areale unserer Erde besiedeln. Angegeben werden folgende Flugweiten: für die Schwarz-Pappel 15 Kilometer, für die Samen der Hänge-Birke 1,6 Kilometer, für die Wald-Kiefer 1 Kilometer. Dabei ist nicht erstaunlich, dass besonders kleine Samen mit dünnen Flügeln oder Haaren besonders große Distanzen ,überfliegen‘ können. ν


Literatur


DÜLL, R. & H. Kutzelnigg, 1994: Botanisch-ökologisches Exkursionstaschenbuch. Quelle & Meyer.

HECKER, U., 2023: Ausbreitungsbiologie der Höheren Pflanzen – Eine Darstellung auf morphologischer Grundlage. Springer Spektrum.

VAN DER PIJL, L., 1982: Principles of Dispersal in Higher Plants. Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York.

 

Autor: Dr. Isolde Hagemann | Greenkeepers Journal 2/25

 

Weiterführende Links

 

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